Das Ohr im Mund
Mögliche Dispositive der akustischen Wahrnehmung | Zum Beispiel: Lachen
von Lorenz Aggermann
Erschienen in: Recherchen 102: Der offene Mund – Über ein zentrales Phänomen des Pathischen (03/2013)
Mögliche Dispositive der akustischen Wahrnehmung
Zeigte Hubert Damisch, daß das Gemälde paradigmatisch die Gefangennahme des Auges durch den Blick inszeniert, so steht mit der angesprochenen Kritik Guy Debords die Frage im Raum, wie denn dem Sachverhalt, daß das Sehen den Körper elidiert, ihn auf ein Auge, auf einen Punkt reduziert,88 zu begegnen wäre? Das Komplement zu einer perspektivierten Wahrnehmung wäre vielleicht die Einbeziehung des zweiten Auges, das, unabhängig vom Blickpunkt des ersten, für eine Multiperspektivität der visuellen Wahrnehmung sorgen und so das Sichtfeld dehnen könnte. Aber nicht-fokussiertes Blicken ist schlicht unmöglich. Kaum einem Menschen ist es gegeben, die Augen getrennt voneinander bewegen, geschweige denn zwei verschiedene Brennpunkte anvisieren zu können. Ein möglichst vielfältiges, die Lebenswelt in ihren mannigfaltigen Aspekten erfassendes Abbild läßt sich folglich nur über den Einbezug weiterer Sinne erreichen. Nur so ist letztlich der visuellen, perspektivischen Gefangennahme zu entkommen, nur so läßt sich der Gesellschaft des Spektakels ein Ende bereiten: weniger glotzen, mehr hören, fühlen, schmekken, riechen. Allerdings läßt sich dem entgegenhalten, daß auch diese anderen Sinnesmodalitäten ebenso geprägt und überformt sind, ebenfalls von einem Dispositiv beherrscht werden, das maßgeblichen Einfluß auf den Körper und auf die Wahrnehmung nimmt, selbst wenn dieses Dispositiv im Stummen und Verborgenen...