Kolumne
Autoritäre Versuchungen
von Anna Bertram
Erschienen in: Theater der Zeit: KI – Künstlerische Intelligenz? (09/2025)
Es ist mir immer wieder ein Rätsel, warum unsere Dringlichkeit im Theater so oft an den Bühnenrändern stehen bleibt. Warum Figuren mit psychologischer Schärfe analysiert und Dramaturgien mit Präzision gebaut werden, während die performative Betrachtung dann irgendwo endet — und zwar meistens direkt vor dem eigenen Selbst. Oder um es anders zu formulieren: Was ist der Beitrag von Kultur in einer Gesellschaft, die gerade an sehr vielen Stellen implodiert?
Vor einiger Zeit wurde in einer Runde von Theaterkritiker:innen in Ausbildung engagiert und doch beiläufig von „institutionalisiertem Rassismus“ gesprochen. Vielleicht handelte es sich auch um „institutionalisierten Klassismus“. In beiden Fällen stimmt die Aussage sicher – strukturell. Doch der Gedankengang schien mir zu früh aufzuhören. Wir bewegen uns in solchen „Institutionalisierungen“ deshalb, weil Menschen verpassen, selber nachzudenken, und sich den Logiken von Institutionen und Behörden stillschweigend beugen. Wer vollzieht die Strukturen? Wer trifft die täglichen Entscheidungen und Versäumnisse, die den Betrieb stützen? Die handelnden Subjekte der Institution sind: wir.
Es würde etwas zu weit gehen, hier Hannah Arendt zu zitieren und ihre Thesen zur „Banalität des Bösen“ zu eröffnen. Deswegen mache ich dies nicht, zu groß die Keule. Schließlich sind wir noch entfernt vom blinden Ausführen von Verbrechen, nicht wahr. Es scheint...