Der sichtbare Dritte
Schiller – Kortner – Syberberg
Erschienen in: Recherchen 91: Die andere Szene – Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm (07/2014)
„Das Subjekt des theatralischen Kunstwerks“, schreibt Ivan Nagel in seinem Nachruf auf Fritz Kortner, „war für ihn der Regisseur allein“.1 Mit dieser Aussage ist ein Verständnis der Arbeit am Theater aufgerufen, das die Figur des Regisseurs als zentrale Entscheidungsinstanz versteht und die Idee eines gleichberechtigten kooperativen Miteinanders zwischen dem Regisseur, den Schauspielern, den Bühnen- und Kostümbildnern, den Musikern usw. verwirft – von der Rolle des dramatischen Texts und seines Autors ganz zu schweigen. Zudem wird Kortner damit von Nagel implizit in die Traditionslinie des sogenannten „Regietheaters“ gestellt, die von Max Reinhardt, der als (Neu-)Begründer dieses Konzepts im 20. Jahrhundert gilt und mit dem Kortner durch frühe und prägende Erfahrungen als Schauspieler verbunden ist, bis zu späteren Vertretern reicht, die bis in die Gegenwart den Diskurs des zeitgenössischen Theaters bestimmen.2
Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist die Frage, auf welche Weise sich der hier formulierte Absolutheitsanspruch eines Regisseurs innerhalb der Probenarbeit realisiert. Anzunehmen wäre, dass sich unter solchen Voraussetzungen sämtliche künstlerischen Entscheidungen potenziell auf die subjektiven Intentionen, Meinungen und Befindlichkeiten des Regisseurs zurückführen lassen, während der Dramentext allenfalls als Material vorkommt und die anderen Mitwirkenden nur ausführende Organe sind. Der Maßstab des Gelingens einer Inszenierung wäre dann, in welchem Ausmaß...