1. Heldendämmerung
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Es ist kein Handeln […], wenn ein
Bureaukrat ein Aktenbündel nach
vorgegebenen Vorschriften erledigt.
Es liegt auch kein Handeln vor, wenn
ein Richter einen Fall unter einen
Paragraphen subsumiert, wenn ein
Fabrikarbeiter eine Schraube nach
vorgeschriebenen Handgriffen
herstellt […].
Handeln beginnt erst dort, wo der
noch nicht rationalisierte Spielraum
anfängt, wo nicht regulierte Situationen
zur Entscheidung zwingen.
Karl Mannheim,
Ideologie und Utopie (1929)
1. Heldendämmerung
Vor längerer Zeit, ich war Philosophiestudent der Berliner Humboldt-Universität, reiste ich mit einigen Kommilitonen zu einem Studentenaustausch nach Prag. Dort trafen wir Gleichaltrige, die dasselbe Fach studierten, und eines Nachmittags empfing uns ein Professor der gastgebenden Fakultät. Die Niederschlagung des Prager Frühlings und die darauf folgenden Säuberungen an den Universitäten lagen erst wenige Jahre zurück, worüber also sprechen zu den jungen Leuten aus dem Nachbarland, dessen Führung die Militäraktion unter sowjetischem Kommando ausdrücklich gebilligt hatte? Die Einzelheiten des Vortrags sind mir entfallen, sein Friedrich Schiller entlehnter Titel blieb mir dagegen im Gedächtnis: Auch eine Nicht-Handlung ist eine Handlung.
Es gibt Zeiten, in denen offener Widerstand gegen die Macht sinnlos ist. Deshalb muss man den Machthabern nicht nach dem Munde reden. Man kann Gefolgschaft und Zustimmung verweigern, seine ablehnende Haltung in beredtes Schweigen fassen...