Stephan Märki, Sie sind seit fünf Jahren Intendant am Konzert Theater Bern. Davor haben Sie zwölf Jahre das Deutsche Nationaltheater in Weimar geleitet. Jetzt sind Sie in Ihre Heimat zurückgekehrt. Was heißt es für Sie, in der Bundeshauptstadt der Schweiz Theater zu machen?
Es bedeutet erst mal nichts anderes als in jeder anderen Stadt auch, nämlich zu versuchen, ein Theater zu machen, das etwas will. Eins, das etwas mit der Lebenswirklichkeit der jeweiligen Stadt und ihren Menschen zu tun hat und trotzdem einen Bogen zu den Wurzeln europäischen Denkens schlägt. Jede Stadt hat ihre eigene kulturelle Identität und ihre eigenen Fragen. Erst recht in der Schweiz, deren kulturelle Eigenständigkeit in den anderen deutschsprachigen Ländern oft nicht in Gänze wahrgenommen wird.
Nun hat dringliche Kunst, besonders Theater, mit einem Mangel zu tun, einem Missstand – gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer Art –, der Anlass zu Auseinandersetzung gibt. Die Schweiz hingegen ist vielleicht das reichste Land der Welt. Und wenn das nun mit dem Mangel in der Kunst auch umgekehrt gilt, ist es hier nicht ganz einfach, gesellschaftliche Dringlichkeit zu formulieren. Aber überall gibt es Mangel, nur eben nie denselben, und in der Schweiz ist er etwas verborgener, gerade in der Hauptstadt Bern, dem...