Das Theater leben: DIE HANDLUNG
54 Der Stamm
von Julian Beck
Erschienen in: Das Theater leben – Der Künstler und der Kampf des Volkes (05/2021)
Der Stamm hat sein eigenes Charisma. Der Stamm ist eine Gruppe von Menschen, die von Liebe zusammengehalten wird. Deshalb kann er überleben, und deshalb hat er eine besondere Faszination in einer mehr oder weniger lieblosen Gesellschaft.
Widerstrebend toleriert die Gesellschaft die Gypsies, weil sie weiß, sie bewahren Geheimnisse, nämlich die schwarzen Künste. Die Gesellschaft toleriert experimentelle Kommunen, solange sie davon ausgeht, dass diese nur undurchführbare utopische Vorschläge für die Lösung unserer Probleme erarbeiten. Finden sie keine Lösungen, gehen sie von selbst unter. Finden sie Lösungen, versucht die Gesellschaft sie sich einzuverleiben oder zu beseitigen. Das ist das düstere Geheimnis aus der Waffenkammer des gesellschaftlichen Hirns. Dieses Ding mit dem Tod.
Im Unterschied zum geschlossenen, blutverbundenen, hierarchischen Clan mit seinen selbstauferlegten Gesetzen wächst ein Stamm, wenn er gesund ist. Das Wort Stamm wird heute für Gruppen genutzt, die wie ethnische Gruppen Verbindung zu Erde Sonne Mond Wasser Feuer Fleisch halten. Die ursprünglichen Dinge. Deren Existenz eine natürliche, also nicht-künstliche Zärtlichkeit für das unverdorbene Leben bezeugt, Leben im Einklang mit der Natur der Dinge, und also jenseits der üblichen Konflikte mit der Natur. Ein Stamm zu sein, heißt, im Gleichklang zu sein. Jedes Mitglied kümmert sich um den Vorteil und das Wohlergehen...