Theater der Zeit

thema II: theaterland baden-württemberg

Kleines Haus, große Kunst

Flache Hierarchien, Offenheit und Transparenz – Das Zimmertheater Tübingen

von Jakob Hayner

Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)

Assoziationen: Baden-Württemberg Zimmertheater Tübingen

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Unterhalb der Stiftskirche, in unmittelbarer Nähe zu Alter Burse, Hölderlin-Turm und Neckarinsel gelegen, befindet sich das Tübinger Zimmertheater, mitten im Zentrum der historischen Altstadt. „Das Zimmertheater ist einer der schönsten Orte Deutschlands, um Theater zu machen“, sagt Intendant Axel Krauße. Ende der fünfziger Jahre als Spielstätte einer freien Gruppe in der schwäbischen Universitätsstadt gegründet, kann das Zimmertheater Tübingen auf eine bemerkenswerte Geschichte und Gegenwart blicken. Bei den diesjährigen Privattheatertagen in Hamburg war das Zimmertheater zum vierten Mal in Folge mit einer Produktion für den Monica-Bleibtreu-Preis nominiert, Ende Mai gab es eine Uraufführung von Oliver Bukowskis Stück „Letzte Menschen“ als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Zehn Jahre hat Krauße das Zimmertheater geleitet, die nächste Spielzeit ist seine letzte am Haus. Er ist „jetzt schon der dienstälteste Zimmertheater-Intendant aller Zeiten“, wie er erzählt. Welche Erfahrungen er in dieser Zeit gemacht hat? „Flache Hierarchien, Offenheit, Transparenz, ein hohes Maß an Selbstverantwortung aller Mitarbeiter – Dinge, die ja gerade wieder heiß diskutiert werden. Hier finden sie statt, weil es gar nicht anders geht. Das heißt nicht Friede, Freude, Eierkuchen, ganz im Gegenteil; es bedeutet Konfliktfähigkeit, lernen, besser machen und ein hohes Maß an Selbstausbeutung. Was alle letztlich vereint, ist der Wunsch, für Tübingen ein in Bann ziehendes, gesellschaftsrelevantes Theater zu machen.“ Die letzte Premiere dieser Spielzeit ist „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ von Peter Hacks, das als Sommertheater – eine lang gepflegte Tübinger Tradition – an verschiedenen Orten in Tübingen zu sehen sein wird. Das Zimmertheater spiele auch „Stücke und Autoren, die in Vergessenheit geraten sind“, sagt Krauße. „Peter Hacks als ein schwer einzuordnender Schriftsteller, der in beiden deutschen Staaten erfolgreich war und im dritten, dem vereinigten, sich schwertat, ist so ein Fall.“

Der Schauspieler und Regisseur Robert Arnold, der seit einigen Jahren am Haus arbeitet, inszeniert die Hacks’sche Komödie. Arnold wurde 1973 in Leipzig geboren, im selben Jahr schrieb Hacks seine Bearbeitung des 1778 uraufgeführten Schwanks von Goethe. „Mir selbst ist Peter Hacks schon während meines Schauspielstudiums in Rostock untergekommen. Ich mag diesen spitzen und messerscharfen Humor seiner Sprache. Für mich ist dieses Spiel mit den Worten, der Wechsel von geschliffener Derbheit und filigranen Pointen, einfach nur gute Theaterliteratur“, sagt Arnold. Das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ verhandelt auf heitere Weise das Verhältnis von Kunst und Moral, Kunst und Volkstümlichkeit, Kunst und Aufklärung. Ist das ein aktuelles Thema? Arnold kann das bejahen. „In allen Figuren kann man eine heutige Entsprechung finden. Borniertheit, Paragraphenkleinlichkeit, Missgunst, Eitelkeit, Hochmut, all das findet sich in Plundersweilern. Hacks verspürte ‚ein Bedürfnis nach mehr Spaß, also mehr Ernst‘ – so untersuchen wir jetzt den Ernst und haben dabei ziemlich viel Spaß.“

Angesprochen darauf, ob ein weiteres Thema des Hacks-Stücks, die Kunst in der Provinz und das Provinzielle in der Kunst, auch in Bezug auf die Arbeit am Tübinger Zimmertheater von Bedeutung sei, antwortet Robert Arnold: „Sicherlich ist die Provinz ein Thema der Inszenierung und der Stückauswahl. Es lässt sich ja nicht leugnen, dass Theater wie das Zimmertheater, ‚fern der Knoten‘, wie es Hacks ausdrückt, immer wieder damit zu kämpfen haben, dass Provinz und provinziell auch heute noch gern gleichgesetzt werden. Aber Provinz ist doch eher im Geiste. Es ist anstrengend und auch irgendwie unwürdig, sich fortwährend beweisen zu müssen. Dabei sind es doch gerade die kleineren Theater, die in unserem Land flächendeckend die breite Masse bedienen. Theater hat einen gesellschaftspolitischen und auch moralischen Auftrag.“ Wie das in Tübingen aussieht, kann man zur Premiere am 8. Juni sehen. Wie es wird? „Bunt, manchmal schrill und unbedingt auch poetisch“, sagt Arnold. //

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