Magazin
Gralshüter der Postdramatik
Kommentar zu Kirschs Kontexte „Was für ein Drama?!“ in TdZ 03/2017
von Mirjam Meuser
Erschienen in: Theater der Zeit: Dickicht der Städte – Shermin Langhoff über die Dialektik der Migration (04/2017)
„Müller gut, Jelinek böse“. So untertitelte Sebastian Kirsch in der März-Ausgabe von Theater der Zeit seine kurze Invektive gegen das Konzept des Symposions „Die Zukunft des Dramas“, das Ende Januar in Berlin stattfand. In seiner Kolumne beklagt er die kulturrevisionistische Vereinnahmung Heiner Müllers – angesichts der „Explosion einer Erinnerung in einer abgestorbenen dramatischen Struktur“, die gerade „Bildbeschreibung“ nachdrücklich zur Schau stellt. Zugestanden, das Konzept macht mit Blick auf die Geschichte der dramatischen Literatur fast dreier Jahrtausende für die Gegenwart eine Verlustrechnung auf – doch dahinter steht weder ein konservativer ästhetischer noch ein moralischer Impuls. Vermisst wird allein eine dramatische Literatur, der Geschichte und Ausrichtung auf Zukunft nicht gleichgültig sind, die sich – auch, aber nicht zwingend oder ausschließlich über den Dialog – an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über diese beteiligt und dem Konflikt nicht aus dem Weg geht. Das Symposion fragte somit nach ihren Charakteristiken und Möglichkeiten angesichts der gesellschaftlichen, ökonomischen und ästhetischen Bedingungen unserer Gegenwart.
Müller steht für diesen Zusammenhang ein, weil er selbst als Vertreter dieser Verlustrechnung gelten muss. Dass seine verzweifelten Versuche, aus den Katastrophen der ersten und den versteinerten Verhältnissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Poetik der Utopie zu sprengen, die dem Dramatischen seine Existenz...