Mit den Augen eines Kindes oder eines Kriegsfotografen
von Milo Rau
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Milo Rau
Ich bin letztlich ein Pedant, jemand, der an die Atmosphäre von Dingen herankommen muss, indem er sich mit Menschen, Dingen oder Landschaften beschäftigt, die wirklich etwas damit zu tun haben. Wenn ich etwas über Tschetschenien mache, dann fahre ich nach Tschetschenien, um mir das genau anzusehen. Und nachher spielt es vielleicht gar nicht dort, aber es wird einen Geruch von Tschetschenien haben, weil in meinem Kopf das Bild Tschetschenien interessant geworden ist. Manche Leute nennen es die Suche nach Authentizität, was natürlich falsch ist, da es nicht authentisch ist, einen Text auswendig zu lernen und ihn dann so darzubieten, als wäre es einem gerade eingefallen. Ich würde eher sagen, ich suche letztlich in einer maximalen Künstlichkeit eine maximale Banalität.
Es gibt Überbietungskünstler wie beispielsweise Frank Castorf oder James Joyce, die viel Material aufeinanderhäufen, das disparat ist. Mein Ansatz ist eher, und das hat mir bei Schlingensief immer gefallen, dass man etwas möglichst Einfaches tun muss, das so vieldeutig wie möglich ist, wo jeder damit machen kann, was er will. Du arbeitest so lange, bis du einen Akt hast, der banal erscheint, sich in der Wirkung aber sehr vieldeutig zeigt, ohne diese Vieldeutigkeit zu Markte zu tragen. Was mir...