Der Herzschrittmacher
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
I.
Christoph Marthaler hat in der Spielzeit 2010/2011 an der Oper Basel unter dem Titel Lo stimolatore cardiaco einen Verdi-Abend ausgerichtet, der das Problem der Oper zu Beginn des 21. Jahrhunderts möglicherweise auf den Punkt bringt. Marthalers Inszenierung nimmt die Oper in zwei ihrer tragenden Momente auseinander, indem er zum einen über Treppen in den gesamten Bühnenraum ausgreifende horizontale, vertikale und laterale Bewegungen des Chors choreografiert und zum anderen verschiedene Winkel dieses Bühnenraums nutzt, um kleine, fast private, bis in die Karikatur hinein individualisierte Begegnungen der Solosänger zu ermöglichen. Die Musik wird zurückgenommen auf eine fast minimalistische Lautstärke, Rhythmik und Melodik, sodass man einerseits das Gefühl hat, sie könne jederzeit enden, und sich andererseits umso mehr ihrem Takt überlässt und sich wünscht, sie möge niemals enden.
Der Titel Herzschrittmacher ist ein treffender Ausdruck für eine Oper, die sich merkwürdig überlebt hat und dennoch eine weiterhin wichtige Funktion erfüllt. Die beiden Elemente, in die Marthaler die Oper in dieser Inszenierung auseinanderfallen lässt, um sie nur umso präziser aufeinander beziehen zu können, finden nicht mehr so recht zueinander und können doch nicht voneinander lassen. Das Individuum und das Kollektiv, in deren Spannungsfeld hinein sich die Oper anfangs am fürstlichen Hofe, dann in...