Fernosten
Theater im fernen Osten
Erschienen in: Theater der Zeit: Diskussionen ohne Grundlage (11/1946)

Ungefähr zur gleichen Zeit, als der Schreiber dieser Zeilen vor der Barbarisierung des europäischen Herzlandes sein Heimatland verließ, machte das Theater im Fernen Osten eine viel zu wenig beachtete Kulturentwicklung durch: europäische und amerikanische Theaterkunst drang nach China und anderen fernöstlichen Ländern vor. Gewiss waren in Städten wie Schanghai, Kanton, Tokio, Osaka schon früher europäische und amerikanische Theatertruppen mit Stücken der „weißen“ Theaterliteratur erschienen; aber sie hatten keine sehr starke Resonanz bei den fernöstlichen Völkern gefunden. Besonders in Chinas inneren Provinzen schien man sich nicht vom Volksschauspiel trennen zu wollen. Wir wissen, dass der Chinese das Theater liebt; er kann den landesüblichen Stücken zwei und drei Tage hintereinander beiwohnen (denn fast alle erfolgreichen chinesischen Stücke verlangen eine solche Spieldauer!), aber er ist auch durch die Jahrhunderte in dieser Hinsicht streng konservativ gewesen.
Man kann also schon rein äußerlich verstehen, dass ein Schauspiel, das sich in zwei bis drei Stunden zusammendrängt, für ihn etwas ganz und gar Ungewohntes, gefühlsmäßig Unvollständiges sein muss.
Im chinesischen Theaterstück spielt man nicht eigentlich; man durchlebt auf der Bühne die gegebenen Vorgänge in Wirklichkeit. Man debattiert, wie man in Familie, Werkstatt, Fabrik, Gericht, auf der Straße, bei Spaziergängen und ähnlichen Vorgängen wirklich sich unterhält - man...