Theater der Zeit

Auftritt

Schlosstheater Celle: Zeitreise oder Fiebertraum?

„Schloss der Frauen“ von Andreas Döring – Regie Andreas Döring, Bühne Martin Käser, Kostüme Marc Mahn, Musikalische Leitung, Moritz Aring

von Josephine Ziegler

Assoziationen: Niedersachsen Theaterkritiken Andreas Döring Schlosstheater Celle

Sie sind die wahren Heldinnen der Celler Schlossgeschichte: In „Schloss der Frauen" zeigt sich die Geschichte des Celler Schlosstheaters als Emanzipationsnarration.
Sie sind die wahren Heldinnen der Celler Schlossgeschichte: In „Schloss der Frauen" zeigt sich die Geschichte des Celler Schlosstheaters als Emanzipationsnarration.Foto: Marie Liebig

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„Manchmal öffnet die Geschichte einen Spalt in die Zukunft“, raunt die junge Frau im Barockkleid und betritt die Zeitmaschine. Vor 350 Jahren ist das Schlosstheater Celle gegründet worden. Zur Eröffnung der Jubiläumsspielzeit holt Intendant Andreas Döring in „Das Schloss der Frauen“ drei Generationen adliger Frauen in die Gegenwart, die letzten, die im Celler Residenzschloss gelebt haben und ohne die die Spielstätte selbst nicht denkbar wäre: Eleonore D’Olbreuse, ihre Tochter Sophie Dorothea und deren Urenkelin Caroline Mathilde. Das Stück ist ein Spiel mit Zeit und Raum.

Der zentrale dramaturgische Kniff, der dieses komplexe Vorhaben ermöglicht, ist die als Zeitmaschine dienende Drehbühne. Sie legitimiert den Medias-in-Res-Auftakt des Stücks, in dem die drei historischen Damen vor dem schweren Vorhang stehend direkt mit dem gegenwärtigen Publikum sprechen. „Macht Ihnen Ihre Zeit Angst?“ Ihnen sei es so ergangen, deshalb hätten sie das Theater (wieder) gegründet. Und, auch das wird in der Eröffnungsszene deutlich, die Verteidigung ihrer Überzeugungen und Leistungen gehört zu ihren Behauptungsstrategien. Döring wollte ein emanzipatorisches Stück schreiben – auch wenn es nicht immer ganz historisch korrekt wäre, wie Dramaturgin Barbara Brandhuber im Programmheft zugibt.

Theater, das ist die Message des Abends, ist ein Utopieraum. Das beginnt schon mit Eleonore, die den Einbau des Theaters in den Schlossturm veranlasste. Unmittelbar vor der Eröffnungspremiere verteilt sie neue Textblätter an ihre Schauspieler mit dem Kommentar: „Auf dieser Bühne werden Dinge gesagt werden, die in der Öffentlichkeit sich noch kaum jemand zu sagen wagt.“ Während sie leidenschaftlich für Religionstoleranz plädiert, werden wiederum die Zuschauenden vor der Bühne zum Publikum innerhalb der Szene.

Es ist bei diesem, über sich selbst berichtenden Stoff naheliegen, dass das gesamte Theater zum Bühnenraum wird. Der originalgetreu renovierte Zuschauersaal von 1674 sieht sogar mehr wie das zum Stück gehörende Bühnenbild aus, als die spartanische Konstruktion auf der Bühne selbst. Die Öffnung des Raums fügt sich aber auch konsequent in das Arrangement des Stücks: die fließend ineinander übergehenden Szenen, die in verschiedene Rollen schlüpfenden Schauspieler:innen, die Zeitebenen, der Wechsel zwischen Dialogen und Gesang – alles an diesem Abend durchwirkt sich ständig gegenseitig. In diesem Sinne taucht auch auf der historischen Theaterbaustelle plötzlich ein moderner Akkuschrauber auf oder wird der Ball zur Party mit EDM-Musik. Die gestelzten Dialoge des höfischen Lebens wirken durch ihre Einbettung in heutige Alltäglichkeiten und die komödiantische Art greifbarer und weniger abstrakt. Bisweilen werden solche Szenen aber regelrecht klamaukig und lenken von den Frauenleben ab, die doch im Zentrum stehen sollen.

Zusammengehalten wird alles durch eine immer wieder sich einschaltende Kommentierung durch die drei barocken Frauen, die die permanente Oszillation in ihren Rollen konzentrieren. Die Erläuterungen sind aber vor allem notwendig, damit das Publikum bei all den höfischen Figuren, Adelstiteln, Verwandtschaftsgraden, Ämtern und Verstrickungen noch durchsieht. Leider reicht diese Struktur aber nicht ganz aus, verlieren die einzelnen Elemente an Trennschärfe, so dass der Abend trotz großer Konzentration immer wieder wie ein Fiebertraum erscheint.

Auch die Utopie, dieser Nichtort, der „Das Schloss der Frauen“ ist, bleibt durchscheinend, entgleitet der Inszenierung. So bleibt die patriarchale Ordnung und Politik stark im Vordergrund. Auch, wenn wir am Ende der Zeitreise ins Jahr 1950 geraten, als eine Handvoll Herren den Theaterverein gründet, der auch heute noch das Schlosstheater trägt. Kurzerhand zählen sie die angereisten Frauen nicht einmal als Personen. Dass die Freiheitsvisionen, die die historischen Frauen darlegen und exklamieren sich auch auf heutige Diskurse übertragen ließen, wird allzu subtil angedeutet. Die Chance, den Stoff auch inhaltlich auf die Gegenwart auszuweiten wurde liegen gelassen. Streitbar bleibt auch, wie emanzipatorisch ein Stück über Frauen sein kann, das ein Mann schreibt und inszeniert. Beispielsweise ist die vorstechende Charaktereigenschaft, die Eleonore und Sophie Dorothea zugeschrieben wird, ihr starkes Fühlen. Das passt zwar ganz gut, um die Theaterleidenschaft herzuleiten, ist aber doch wieder eine tradierte Geschlechterzuschreibung. Der für Frauen freie Raum, den Döring als Traum in die Köpfe der Figuren schreibt, bleibt also eine Utopie, die noch immer auf ihre Verwirklichung wartet.

Erschienen am 15.10.2024

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