Gelöschte Wunden im Aasee
von Matthias Däumer
Erschienen in: Recherchen 127: Darstellende Künste im öffentlichen Raum – Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen (12/2017)
Assoziationen: Theater Titanick
I
Aus der Münsteraner Altstadt kommend schaut man nicht, wie Reiseführer es versprechen, direkt auf den wunderschönen Aasee. Seit acht Tagen verweigert Theater Titanick den Münsteranern und Touristen diesen Blick. Stattdessen sieht man eine im Bau befindliche Baracke, davor ein Schild, das in aller Harmlosigkeit verkündet, dass hier ein Lager für Kriegsgefangene entstünde. Jogger laufen an dem Holzbau vorbei, registrieren die Aufschrift im Vorüberrauschen – und drehen um, weil sie ihren Augen nicht trauen. Aufklärung erfahren sie am Info-Point der Theatergruppe: Die Baracke ist das Abbild eines in der Münsteraner Gasselstiege als Zimmerei genutzten Gebäudes, das als letztes unbemerktes Mahnmal der insgesamt 180 Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager im Raum Münster 2013 der farbenfrohen Nutzarchitektur eines Neubaugebiets weichen musste. Titanick transportiert diesen nicht mehr existenten Ort ins Zentrum der Stadt, setzt den Bau dem Verschwinden der Erinnerung entgegen.
Die Gruppe bespielt jeden Abend die Baustelle; dabei wandeln sich die Performances je nach Bauzustand. Am 1. Mai konkurrieren noch bloße Stelen mit der Bollerwagen-Ausgelassenheit der Grillrunden am See; am 8. Mai hat die Baracke schon ein Dach und Wände, nur die vordere Seite öffnet sich zu den Zuschauerbänken hin, innen sieht man dreistöckige Pritschen. Nähert man sich pünktlich (und durch strömenden Regen) der...