Nichts als Schein
Bemerkungen zum Begriff des Realismus
von Jakob Hayner
Erschienen in: Lob des Realismus – Die Debatte (09/2017)
„Ich liebe es, Theater zu spielen.
Es ist so viel realistischer als das Leben.“
Oscar Wilde
Was das Denken des Realismus, das Nachdenken über den Realismus in der gegenwärtigen Situation so interessant macht, ist seine nahezu avantgardistische Funktion im ästhetischen Diskurs, im Sprechen über Kunst. Wo auch immer der Begriff des Realismus fällt, ruft er Irritationen hervor und starke Affekte, zumeist der Ablehnung. Das verweist darauf, dass er stark besetzt ist, zunächst in einem psychischen Sinne, und zudem in der Lage ist, Interesse zu wecken und zu binden. Ich selbst habe mich auf diese Weise dem Realismus genähert – in einem Widerstreit von Anziehung und Ablehnung – und wahrscheinlich kann man sich dem Begriff auch nicht anders nähern, um keiner bornierten Vorstellung des Realismus zu verfallen. Was abstößt, ist das gemeine, das alltägliche Verständnis von Realismus als Diktat der Abbildung, als Unterordnung der Kunst unter die Gesetze der Wirklichkeit oder des Staates oder einer Partei. Was anzieht, ist die Tatsache, dass kein Begriff so kurz und bündig, so entschieden wie letztlich unentschieden die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft stellt und auf ihrem gegenseitigen Bezogensein beharrt. Dieser Zwang, der Zwang zur Reflexion, geht vom Begriff des Realismus...