Bericht
Theater aus Tibet auf Deutschlandtournee
In Koproduktion mit den Ruhrfestspielen erzählt ein tibetisches Exilensemble von der Unterdrückung durch China und den Möglichkeiten des gewaltlosen Widerstands
von Stefan Keim
Assoziationen: Asien Abhishek Majumdar Ruhrfestspiele Recklinghausen
Tibet ist einer dieser Orte, an denen schreckliche Dinge geschehen, über die aber selten gesprochen wird. Seit der Annexion durch China 1950 wird die Bevölkerung unterdrückt. Es gibt weder Presse- noch Religionsfreiheit. Bilder des aktuellen Dalai Lama – der im tibetischen Buddhismus als wiedergeborenes, erleuchtetes Wesen gilt – dürfen nicht gezeigt werden, auch die tibetische Sprache ist verboten. Nun hat sich im indischen Exil eine Theatergruppe gebildet, die ein Stück über die aktuelle Lage in Tibet erarbeitet hat. „Pah Lak“ heißt es und ist nach der Europapremiere bei den koproduzierenden Ruhrfestspielen in Recklinghausen gerade auf Deutschlandtournee – in Potsdam, Berlin, Chemnitz, Zwickau, Plauen, Göttingen, Baden-Baden und Hamburg.
Ein buddhistisches Nonnenkloster soll geschlossen werden. Es ist einer der wenigen Orte, an denen die tibetische Kultur noch lebendig ist. Die junge Nonne Deshar hat das Gefühl, den letzten Rest an Freiheit zu verlieren. Sie ist verzweifelt und wählt als letztes Mittel des Widerstands den Suizid. Sie zündet sich selbst an.
Der indische Dramatiker Abishek Majumdar erzählt eine dramatische Geschichte mit einer klaren politischen Botschaft. Er will Aufmerksamkeit für das Leiden in Tibet erregen, für die Unterdrückung der Kultur. Vor vier Jahren wurde sein Stück „Pah Lak“ – übersetzt bedeutet der Titel „Vater“ – in London uraufgeführt. Was der chinesischen Regierung nicht gefiel. Der deutsche Theatermacher Harry Fuhrmann erzählt: „Bei der Uraufführung in London ist der Autor täglich von einem chinesischen Agenten beschattet worden. Irgendwann haben sie ihn auch in eine Wohnung gedrängt und haben ihm eine Menge Geld angeboten, wenn er die Rechte an diesem Stück verkaufen würde. Das hat er abgelehnt, und er ist tatsächlich ein paar Tage später zusammengeschlagen worden.“
In London waren keine Schauspielerinnen und Schauspieler aus Tibet beteiligt. Das hat sich nun geändert. Im indischen Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, entstand eine Neuinszenierung, bei der Harry Fuhrmann zusammen mit dem Leiter des Tibeter Theaters Lhakpa Tsering Regie geführt hat. Lhakpa Tsering ist schon 1992 nach Indien geflohen. Das Schicksal der Hauptfigur im Stück ist ihm nicht unbekannt. Er selbst hat 2006 beim Besuch des damaligen chinesischen Präsidenten Hu Jintao in Indien versucht, sich zu verbrennen. Lhakpa Tsering hat schwer verletzt überlebt. „Es geht mir nicht um Rache“ sagt der Theatermacher, „sondern um die Kraft der Gewaltlosigkeit.“
Doch ist eine Selbstverbrennung nicht auch Gewalt, die man sich selbst antut? Lhakpa Tsering erklärt seine Einstellung aus seinem buddhistischen Glauben heraus: „Sich selbst zu opfern ist die höchste Ebene des gewaltfreien Widerstands. Auch wenn der Körper Schmerz empfindet, bleibt der Geist friedlich.“
Die Aufführung enthält zwar Musik und Gesang, ist aber im Kern pures Sprechtheater, eine gut nachvollziehbare, psychologisch gespielte Geschichte. Die in Deutschland natürlich durch Textprojektionen übersetzt wird. Für das Ensemble ist es ein Triumph, auf der Bühne die eigene Sprache sprechen zu dürfen. Olaf Kröck, als Intendant der Ruhrfestspiele Koproduzent von „Pah-Lak“, findet es dringend nötig, dass Tibet mehr Aufmerksamkeit bekommt. „Diese Inszenierung“ erklärt Kröck, „zeigt uns das auf eine sehr eindrückliche Weise, ohne den Zeigefinger zu erheben, ohne uns Vorwürfe zu machen. Dennoch fühle ich mich beschämt, weil wir immer noch wirtschaftliche Interessen über Menschenrechtsinteressen stellen.“
Nach jeder Aufführung gibt es Diskussionen, an denen sich nicht nur Ensemble und Regieteam, sondern auch Aktivistinnen und Aktivisten beteiligen. Sie erzählen eigene Erlebnisse aus Tibet. Die Aufführungen bei den Ruhrfestspielen waren gut besucht, es gab Beifall im Stehen. Die Inszenierung scheint ihre Mission zu erfüllen. „Tibet braucht“, sagt Regisseur und Schauspieler Lhakpa Tsering, „das Recht, seine eigene Identität zu bewahren. Eine Kultur, die China vernichten will.“
Erschienen am 19.5.2023