Literarisierung und Entzauberung: Und in Leipzig wird eine (keine) Puppe verbrannt
von Jörg Lehmann
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
Es scheint nicht übertrieben zu sein, in den geistesgeschichtlichen Entwicklungen im Europa des 18. Jahrhunderts, die unter dem Stichwort der Aufklärung firmieren, nicht nur die Begründung grundlegender Visionen und Verabredungen zu sehen, welche unser Leben in seiner gesellschaftlichen und politischen Verfasstheit bis heute prägen, sondern auch zentrale kulturelle Weichenstellungen auszumachen, die u. a. die Stellung, die Wahrnehmung und vor allem die Funktion des Theaters bis heute fundamental betreffen – und eben auch und nachhaltig die Geschichte des Theaters der Dinge.
Ein neuer Schauplatz: Leipzig in Sachsen. Im Jahre 1727 kam es in der Messestadt zu einer für das Theater in Deutschland folgenreichen Begegnung zweier sehr außergewöhnlicher Menschen in einer bald als gemeinsam empfundenen Mission. Der 27-jährige Magister und Hauslehrer, spätere Literaturtheoretiker und Schriftsteller Johann Christoph Gottsched, ein sich rastlos und mit Vehemenz für seine erzieherischen Ansichten einsetzender, äußerst umtriebiger Gelehrter und Kolumnist (der es Zeit seines Lebens auf immerhin 20 000 gedruckte Zeitschriftenseiten brachte), traf auf die drei Jahre ältere Friederike Caroline Neuber – und mit ihr auf die Welt des Theaters. Gottsched hatte gemeinsam mit seinem Bruder die Flucht aus Königsberg vor der drohenden Zwangsrekrutierung ergriffen, nachdem die Werber des Soldatenkönigs den in jeder Hinsicht mächtigen Studenten ins Auge...