Bei der Berliner Premiere von „67/871“ im Theater unterm Dach war eine Gruppe von „Blokadisti“ anwesend, ältere Damen und Herren jenseits der achtzig Jahre in Sonntagskleidung. Sie haben die 871 Tage währende Blockade Leningrads während des Zweiten Weltkriegs als Kinder erlebt und sind als Überlebende auch im Ausland lange schon organisiert. Was dieser Verein jenseits seiner betagten Mitglieder darstellt, ist kaum zu ermessen. Ihr Kindheitstrauma, die von der Deutschen Wehrmacht für eine Millionenstadt kalkulierte Hungerhölle, ist eines der brutalsten Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts. In Deutschland ist das trotz fortwährender Aufarbeitungskultur in der Breite zu wenig bekannt. In Russland dagegen rangiert die heldenhafte Verteidigung Leningrads gleich neben dem den Krieg wendenden Sieg in Stalingrad. Für die Berliner Blokadisti ist ein deutschrussisches Theaterprojekt zu diesem Thema vielleicht auch deshalb eine Herausforderung, weil sie sich kaum darauf einstellen können, was ihr deutscher Sitznachbar weiß oder empfindet. Sind die seinerzeit dokumentierten Fälle von Kannibalismus Schmach des Heldentums oder Pein der Überlebenden und gleichsam Schmälerung der Schuld im Land der Nachkommen der Wehrmachtssoldaten? Wie groß ist das Gewicht von einzelnen Augenzeugen im Verhältnis zur Darstellung des Ganzen? Militärisch, menschlich – und im Theater? Am Ende dankt ein Vertreter der Blokadisti wie für eine ehrenvolle Feierstunde...