Damit konnte selbst er nicht rechnen: Es ist das Jahr 1940, und der berühmte Hellseher Rafael Schermann sitzt als Gefangener im Lager Artek II. Noch in den zwanziger Jahren war er als Grafologe und Weissager nicht wegzudenken aus der Wiener Salongesellschaft. Jetzt befindet sich Josef Stalin auf dem Höhepunkt seiner Macht, der Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion steht unmittelbar bevor. Wie ist ausgerechnet dieser Schermann nur an diesem Ort gelandet?
Seit zehn Jahren leitet Steffen Mensching das Theater in Rudolstadt. Als Romanautor ist er seit 2005 nicht mehr in Erscheinung getreten. Da verwundert, überrascht und begeistert es, mit welch epischer Wucht sich der Sechzigjährige nun im Prosafach zurückgemeldet hat. „Schermanns Augen“ ist ein literarischer Glücksfall für jeden Leser, der sich auf den Zauber dieser schwelgerischen Jahrhunderterzählung einlässt.
Der Handlungsrahmen dieses 820 Seiten starken Werks umfasst nur ein knappes Jahr. Schermann trifft im Lager auf den als Trotzkist gebrandmarkten Kommunisten Otto Haferkorn. Ihn beschützt er vor der unter den Inhaftierten geltenden Hierarchie, die Mensching neben der Grausamkeit der Lagerleitung detailreich beschreibt. Wer sich nicht zugrunde schuftet, der droht an der Kälte oder am Hunger zu verrecken.
Wenn etwa jemand seinen Essnapf verliert, erhält er erst Wochen später einen neuen. Schermann...