»Wir brauchen Orte der Verbundenheit« – für eine selbstbestimmte und solidarische Erinnerungskultur
von Ibrahim Arslan
Erschienen in: Kampnagel Hamburg. 40 Jahre Widerspruch – Workbook zum Jubiläum (07/2024)
Ich wurde nach dem rassistischen Brandanschlag auf meine Familie zum Überleben verurteilt. Heute kämpfe ich für ein würdiges, respektvolles und vor allem für ein von Betroffenen und Hinterbliebenen erwünschtes Gedenken.
Die Gesellschaft und ihre Behörden instrumentalisieren Betroffene und vereinnahmen ihr Gedenken. Sie machen Erinnerungspolitik, ohne die Betroffenen in die Entwicklung der Gedenkprozesse mit einzubeziehen. Sie maßen sich an, die Herrschaft über das Gedenken an sich zu reißen, um ihr Image reinzuwaschen. Die Herrschaft über das Gedenken gebührt den Betroffenen und den Angehörigen der Mordopfer, sie bilden das Gewebe des zukünftigen und vergangenen Gedenkens. Betroffene müssen stören dürfen, und die Gesellschaft muss dies ertragen lernen. Erst wenn Betroffene ihre Geschichten erzählen, ihnen zugehört wird und wir uns darüber austauschen, was Ungerechtigkeit ist und wie Gerechtigkeit aussehen kann, können wir auch die Spielregeln dieser Gesellschaft und gegenwärtiger Erzählungen verändern. Es ist eine Schande und ungerecht, dass ausgerechnet Angehörige, Opfer und Betroffene über Monate und Jahre tagtäglich für Aufklärung und ein angemessenes Gedenken kämpfen müssen. Es ist die Pflicht eines Staates und der Gesellschaft, Verantwortung zu tragen. Schließlich gedenken wir nicht nur, um den Familien und Betroffenen einen Gefallen zu tun, sondern weil Rassismus ein gesamtgesellschaftliches und politisches Problem ist, das uns alle...