5 Ernste Spiele in Rijswijk
von Florian Evers
Erschienen in: Recherchen 139: Theater der Selektion – Personalauswahl im Unternehmen als ernstes Spiel (11/2018)
Das Stück246, das der Theaterwissenschaftler besuchen wird, hat keinen Titel. Vorab ist ihm unbekannt, wer eigentlich mitspielt. Kein Vorverkauf fand statt. Auch gab es keine Abendkasse, keine Ticketreservierung, keine Zeitungskritiken, kein Programmheft, kein Publikum, das Wein im Foyer trinkt – zu dieser Vorstellung musste man eingeladen werden. Mehr noch, man musste sich selbst aufs Äußerste bemühen, Zutritt zu einer solchen Theateraufführung zu erhalten. Zweihundert Briefe mit Anfragen wurden versendet, E-Mails wurden geschrieben, dutzende telefonische und persönliche Vorgespräche mit Veranstaltern geführt, Absagen erfolgten kurz nach Zusagen aufgrund der Geheimhaltung von Interna, aufgrund von Datenschutz und Arbeitsrecht. Papiere mit Unbedenklichkeitsbescheinigungen, Einverständniserklärungen, Genehmigungen von Datenschutzbeauftragten und Ethikkommissionen wurden unterschrieben. Am Revers des Theaterwissenschaftlers, der in wenigen Minuten dieser Aufführung beiwohnen wird, hängt ein Sicherheitsausweis. Will er sich vor Beginn des Schauspiels noch ein letztes Mal die Beine vertreten, muss er mit diesem Sicherheitsausweis am Wachschutz vorbei durch mehrere Sicherheitsschleusen, an denen geprüft wird, ob er eine Befugnis hat, hier zu sein. Nein, weder wird in der folgenden Vorstellung ein wichtiger Staatsgast im Publikum platznehmen noch findet hier ein Theaterabend auf Botschaftsgelände statt. Der Theaterwissenschaftler ist in einem Vorort von Den Haag, um einen Development-Center-Prozess bei einem Automobilhersteller zu begleiten.
Das folgende...