Zur Oper der nächsten Gesellschaft
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
I.
Die Oper fällt in der Gesellschaft als eine eigenständige Kunstgattung auf. In keiner anderen Kunstform wird mit so viel künstlerischem, institutionellem und finanziellem Aufwand an den flüchtigen Momenten der Musik gearbeitet wie hier. Bühnenbild, Kostüme, Lichttechnik, Orchester und Sänger, vom festlich gestimmten Publikum zu schweigen, konzentrieren sich darauf, den Rahmen herzustellen, in dem das besondere Ereignis der gesungenen Stimme stattfinden kann. Anders als im Konzert wird hier auch das Auge in Anspruch genommen. Anders als bei der Malerei geht es auch um Musik. Und anders als im Kino erlebt man jeden Moment auf der Bühne als gefährdet. Kann man in der Operette darauf bauen, dass der fröhliche Schwung über jeden möglichen Abgrund hinwegträgt, so lebt die Oper davon, dass die Stimme hier jederzeit auf sich angewiesen ist. Natürlich gibt es Routinen, auf die man sich verlassen kann – Reaktionen des Dirigenten, des Orchesters und der anderen Sänger auf der Bühne, die Fehler auffangen und fast ungeschehen machen können –, aber das jeden Abend neu stattfindende Ereignis der Oper besteht darin, im Medium der Routinen und Reaktionen dennoch nichts anderes als Stimme selbst zu riskieren.1
Diese alles andere als einfache Differenz von Aufwand und Flüchtigkeit, die so leicht misslingen...