5.3. Wucherndes Aas. Shakespeare, Lacan, Cronenberg
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Wie lässt sich vor diesem Hintergrund Angelos Identifizierung mit dem Aasfleck deuten, die ja das Ende der Audienzszene bildet? Werfen wir noch einmal einen genaueren Blick auf das, worum es in Lacans Theorie des Inzests eigentlich geht. Der Wunsch nach inzestuöser Verschmelzung wurzelt im Spiegelstadium – nicht von ungefähr erscheint die keusche Isabella als punktgenaues Spiegelbild des Stellvertreters. Das Kleinkind, das sich nicht als motorisch einheitlichen Körper erfahren kann, imaginiert in seinem Gegenüber – ob Spiegelreflexion oder reale Bezugsperson – das Bild eben einer solchen Einheit und strebt fortan danach, wie dieses zu werden: So wird das imaginäre Ideal-Ich generiert, Produkt und Statthalter einer unaufhebbaren Verkennung. Doch bereits diese duale Relation impliziert eine dritte Größe, die das Kind und sein Spiegelbild vermittelt und die Lacan erst wesentlich später einführt: Es ist der »Blick der Mutter«, zu dem das vor dem Spiegel sitzende Kind sich umwendet und den es als bestätigende, beglaubigende Größe sucht. Letztlich geht es, wie Lacan in Seminar XI festhält,62 im Spiegelstadium gar nicht so sehr um die imaginäre Identifizierung mit dem Ideal-Ich als um die symbolische Identifizierung mit dem werdenden Ichideal, mit dem Blick der Mutter. Innerhalb des Dreiecks von Kind, Spiegel-Ich und Mutter ist die Mutter...