Fremde Sprachen klingen anders
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Auch fremde Sprachen lassen unserer Wahrnehmung Luft, etwas anderes zu entdecken als den durch Wortbedeutungen übertragenen Sinn. Die Begegnung mit fremdsprachigem Theater führt zu einem solchen Effekt. Vergleichen wir Aufführungen der Pekingoper oder des Théâtre du Soleil mit deutschem Theateralltag, zeigt sich uns die enorme Bandbreite stimmlichen Äußerungsvermögens. Im Rahmen der dreijährigen Kooperation zwischen der Shanghai Theatre Academy und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch inszenierte die Schauspielprofessorin Margarete Schuler 2014 das Stück „Der Goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig. Jeweils vier Schauspielstudierende des zweiten Jahrgangs beider Hochschulen probierten sechs Wochen in Shanghai und zeigten die Inszenierung im Rahmen des FIND Festivals der Berliner Schaubühne am BAT Studiotheater. Ort der Handlung ist ein China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant mit dem Namen „Der Goldene Drache“. Das Stück zeigt die Ausbeutung von chinesischen Exilanten in Europa. Der Autor sieht vor, dass Männer von Frauen, Frauen von Männern, junge von alten und alte von jungen Menschen gespielt werden. Die Regisseurin trieb die Entfremdung weiter, indem sie mit der chinesisch-deutschen Besetzung das Kriterium Nationalität und Sprache einführte. Die Studierenden sprachen ihre jeweilige Muttersprache. Der stete Wechsel von Textverständnis und Klangerlebnis und der gemeinsame stark rhythmisierte Beginn der Inszenierung, der das Sprechen miteinbezog, hatten eine große Wirkung auf mich. Es...