III. Arbeitsfelder
Kommunale Theaterpädagogik – zwischen Jugendhilfe und Kunst
Am Beispiel des jungen theaters konstanz
von Kerstin Daiber und Sarit Streicher
Erschienen in: Lektionen 5: Theaterpädagogik (10/2012)
Assoziationen: Theaterpädagogik Baden-Württemberg Theater Konstanz
Das Theater Konstanz ist ein städtisches Theater mit einer integrierten Kinder- und Jugendtheatersparte. Neben jährlich etwa sechs Neuinszenierungen für Kinder und Jugendliche aller Altersstufen produziert das Theater mobile Produktionen für Kindergärten und Schulen, zeigt auf drei hauseigenen Spielstätten ein facettenreiches Kinder- und Jugendtheaterprogramm und bindet durch interaktive Projekte und Clubarbeit weit über hundert Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Alter von sechs bis achtzig Jahren in theaterpädagogische Projekte ein.
Mit der theaterpädagogischen Arbeit wird am Theater Konstanz eine Tradition fortgesetzt, die in der Geschichte des Hauses tief verwurzelt ist. 2010 / 2011 schaut man nicht nur auf über zwanzig Jahre junges theater konstanz zurück, sondern auf die konstante Bespielung eines über 400 Jahre alten Theaters, das einst als Jesuitenkolleg gegründet, Kinder und Jugendliche durch und mit Theater erziehen und unterrichten wollte. Theaterspiel mit und für Kinder und Jugendliche ist also die historische Wurzel des Theaters in Konstanz.
Das Arbeitsfeld eines Theaterpädagogen am Theater ist breit gefächert und kann auf unterschiedliche Art und Weise verstanden werden. Angefangen bei Theaterführungen und Informationsveranstaltungen über szenische Einführungen bis hin zu inszenatorischer Arbeit sind Theaterpädagogen im Kern Vermittler.
Sie stehen zwischen Bühne und Publikum und treten sowohl in den Dialog mit dem Publikum als auch mit den Künstlern des Theaters. Durch verschiedene Projekte, Formate und Vernetzungen versuchen wir in Konstanz auf der einen Seite Kindern und Jugendlichen aller Gesellschaftsschichten ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, auf der anderen Seite ist es uns wichtig zu erfahren, was die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt bewegt. Schließlich sind sie unser Publikum, für das Theater gemacht wird.
Nah dran & dabei: Premierenklassen
Eines dieser Formate ist das Modell der Premierenklasse. Für alle Produktionen des Theaters Konstanz haben Schulklassen die Möglichkeit, den Probenprozess von Beginn an als Premierenklasse zu begleiten. In spielerischen Einführungen nähern sie sich praktisch der Konzeption einer Produktion an, lesen die Textfassung, werden zu Experten und fungieren während eines Probenbesuches als Berater und Kritiker.
Durch die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema und der Ästhetik lernen die Kinder und Jugendlichen Aspekte der Konzeption am eigenen Leibe kennen. Es soll ein Raum für Fragen und Anregungen ermöglicht werden, in dem das Gesehene weiterlebt und neue Geschichten entstehen.
Während der Probenbesuche ist es uns wichtig, den Premierenklassen kein Teilresultat der Probenarbeit zu zeigen, sondern sie direkt in den Prozess mit einzubinden. Das verlangt vom Produktionsteam eine Bereitschaft zur Offenlegung eines sensiblen Prozesses, eröffnet der Premierenklasse aber einen Einblick in die verschiedenen Theaterberufe und die Theaterarbeit. Wie auch mit den regulären szenischen Vorbereitungen, die für jedes Stück buchbar sind, vermindert man hier automatisch Berührungsängste mit dem Theater.
Austausch & Impulse: Schule
Vernetzung innerhalb der Stadt ist für die Theaterpädagogik am Theater Konstanz überlebenswichtig. Dazu gehört vor allem eine langfristige und gewinnbringende Zusammenarbeit mit den Schulen.
Neben einem produktionsbegleitenden Angebot, das Lehrer und Lehrerinnen zu einem Vorstellungsbesuch für eine Klasse buchen können, unterstützen wir die Lehrer (auch ohne Schüler) durch Fortbildungen zu kultureller Bildung und ästhetischer Erziehung. Durch einen monatlich erscheinenden Theaterbrief werden die Lehrer der Region über das aktuelle Angebot am Theater per Post informiert. Neben Informationen zu den Stücken, Reihen und Sonderveranstaltungen bekommen die Lehrer hier eine Altersempfehlung und Informationen über den Regiezugriff auf das Werk. In Spielplan- Informations-Veranstaltungen in Schulen der Region stellt das Team des jungen theaters in Gesamt- und Fachlehrerkonferenzen in Deutschland und der Schweiz regelmäßig den Spielplan vor und beantwortet Fragen zum Theaterbesuch mit der Schulklasse. Damit die Lehrer überprüfen können, ob eine Produktion für einen Theaterbesuch mit der eigenen Klasse geeignet ist, laden wir alle Lehrer mit dem Theaterhock kostenlos zum Besuch unserer Endproben ein. Zusätzlich zu einer Einführung ins Stück findet nach der Probe eine Gesprächsrunde mit dem Dramaturgen der Produktion statt. Hier werden nicht nur Fragen geklärt, Eindrücke gesammelt und Feedback gegeben, die Lehrer können auch über ihre Wünsche, Fragen und Probleme in der Aufarbeitung von Theaterstoffen in der Schule sprechen – zur Beantwortung der Fragen ist stets ein Theaterpädagoge anwesend. Sollte sich für einen Lehrer kein Stück für den Theaterbesuch mit der Klasse eignen, oder das Fach keine Theaterbesuche im Curriculum beinhalten, hat der Lehrer in einer Spielzeit dennoch ca. dreißig Produktionen des Hauses gesehen und entwickelt sich zum Theaterexperten an seiner Schule. Gerade seit der Einführung des Faches „Theater und Literatur“ wird von den Lehrern mehr Kunst-Kompetenz in Bezug auf performative Prozesse erwartet. Durch ein regelmäßiges Angebot an Fortbildungseinheiten, angeleitet durch vom Ministerium freigestellte Lehrkräfte und Theaterpädagogen, können wir ein umfangreiches Fortbildungsangebot für die Lehrkräfte der Region anbieten und realisieren.
Die konstante Auseinandersetzung und Reflexion über Theater in Form von Workshops, Theaterspiel, Diskurs über Ästhetik und Spielführung führt zu einer sensibilisierenden und gut qualifizierenden Zusatzausbildung, die den Lehrern im Unterricht zugutekommt. Ergänzt wird dieses Angebot durch einen Lehrer-Spiel-Club und Sonderveranstaltungen, wie z. B. den Theaterpädagogischen Kongress 2009, der sich mit seinen Workshops und Diskussionen nicht nur an ein Fachpublikum, sondern explizit auch an theaterinteressierte Lehrkräfte der Region richtete. Ziel war es, Kompetenzfelder zusammenzubringen und gewinnbringend zu vernetzen.
Die Lehrer fungieren in der Schule als kunstgeschulte Ansprechpartner und Multiplikatoren, die ein Vokabular vermitteln können und ihren Schülern bei Fragen beratend zur Seite stehen.
Als Vertrauenspersonen sind sie wichtige Mittler zwischen Theater und Schülern und helfen Hemmschwellen abzubauen und ein Interesse für Theater zu wecken und zu bestärken. Die Vernetzung mit dem Theater geht aber auch bis in den Unterricht hinein. Als Theaterexperten kommen Mitarbeiter des Theaters in den Unterricht und sprechen über Stücke, Autoren, geben Workshops zum Thema „Darstellen und Präsentieren“ oder ermöglichen Erprobungsfelder z. B. für Kulturkritik in Kooperation mit der Schülerzeitung und Spielplangestaltung an Fallbeispielen.
Möglichkeit & Interaktion: Stadt
Neben den Schulen gibt es gewinnbringende Kooperationen mit städtischen Jugendorganisationen. Die Kinder und Jugendlichen, die über Nachmittagsbetreuung oder städtische Freizeitangebote an theaterpädagogischen Projekten teilnehmen, unterscheiden sich in der Regel von den Teilnehmern der Jugendclubs am Theater. Mit einer Kooperation werden also nicht nur erweiterte Zuschauerkreise angesprochen, es rücken auch andere Themen und Kulturen in den Mittelpunkt.
Gleichzeitig ergibt sich eine dispositionelle Verknüpfung der städtischen Organisationen: Das Stellen von Räumen und die gemeinsame Finanzierung ermöglicht größere und umfangreich betreute Projekte, die sonst keine Institution alleine realisieren könnte. Sozialarbeit und Theaterarbeit gehen hier Hand in Hand, ohne dass ein Anbieter seinen Kompetenzbereich überschreitet. Zugute kommt es den Kindern und Jugendlichen, die auf beiden Ebenen Betreuung, Beratung und Impulse erhalten.
Jugend im Club
Wie auch an anderen Theatern liegt in Konstanz ein besonderer Fokus auf den Theaterclubs. In der Spielzeit 2010 / 2011 gibt es folgendes Angebot: ein Generationenclub, Jugendclub, Tanztheaterclub und zwei Kidsclubs, die insgesamt 146 Teilnehmer zählen. Menschen zwischen sechs und achtzig Jahren haben hier die Möglichkeit, unter professioneller Leitung Theater zu spielen, ihre Themen auf die Bühne zu bringen, Theaterstücke zu sehen und über diese zu diskutieren.
Der Jugendclub, der in Konstanz als das Herz des jungen theaters verstanden wird, ist mit seinen 67 Teilnehmern der größte in der Region. Jugendliche zwischen dreizehn und zwanzig Jahren haben dreimal die Woche Gelegenheit, am Jugendclub teilzunehmen. In der Spielzeit 2010 / 11 beschäftigt sich der Club unter Leitung von Felix Strasser und Sarit Streicher mit dem Thema „9/11“.
Durch Ensemblearbeit, Rollenspiel und Textarbeit entstehen nicht nur gruppendynamische und künstlerische Prozesse, sondern eine Auseinandersetzung mit einem kulturpolitischen Thema, das eine ganze Generation verändert hat. Uns ist es wichtig, über dieses Ereignis mit den Jugendlichen in einen performativen bzw. kunstpädagogischen Dialog zu treten. Es werden politische und religiöse Ansichten diskutiert und hinterfragt, persönliche Geschichten dramatisiert und die Auseinandersetzung mit dem Thema auf Konstanz übertragen: Existiert Angst vor Terroranschlägen in der Urlaubsregion am Bodensee? Was passiert in einem Freitagsgebet in der Moschee? Was in einer Freien Kirche? Was ist Gut und was ist Böse? Und wie können wir in einer bösen Welt überleben? Die Inszenierung des Jugendclubs wird am Theater Konstanz als eine der wichtigsten der gesamten Spielzeit angesehen. Durch die Disposition von elf Vorstellungen erfahren die Jugendlichen nicht nur viel über den Theaterbetrieb, sie setzen sich auch mit der Vorstellungsroutine, Erfolg und Beeinflussbarkeit des Abends durch die eigene Leistung auseinander. Die Jugendlichen fühlen sich als ein Bestandteil des Theaters, gehen selbstständig ohne den Klassenverband in die Vorstellungen und so kommt es automatisch zum Austausch zwischen Theaterschaffenden und Zuschauern.
Da an diesen Großprojekten viele Jugendliche beteiligt sind, entstand in den letzten Spielzeiten auf Wunsch der Jugendclubmitglieder der Jugendclub im Alleingang. Hier bringen die Jugendlichen eigenverantwortlich, in kleineren Teams, ein (selbstgeschriebenes) Stück in eigener Regie auf die Bühne. Das Theater begleitet diese Produktion dramaturgisch und stellt sowohl Proberäume als auch die gängigen Werbemittel zur Verfügung.
Vision für das junge theater konstanz
In Konstanz möchten wir mit jungem Theater Kinder und Jugendliche für Theater begeistern. Wir möchten ein Theater schaffen, das mit der Lebensrealität der Jugendlichen zu tun hat und sich als Anlaufstelle für junge Menschen versteht. Der Traum ist, dass alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund, Zugang zum Theater haben. Um dies zu erreichen, müssen wir neue Zuschauerkreise gewinnen und den Ort Theater im Bewusstsein junger Menschen verstärkt verankern. Das bedeutet auch, dass wir die Theaterpädagogik flexibler auf die Bedürfnisse der Schulen zuschneiden und unsere Angebote individueller gestalten. Dem geht natürlich auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Theater und Schule, Lehrern und Theaterpädagogen voraus. Nur wer sich gut kennt, arbeitet gewinnbringend miteinander.
Wir wollen gemeinsam Theater gucken und spielen – also in einem Wechsel von Ausprobieren und Sehen künstlerisches Bewusstsein fördern. Damit verstehen wir das junge theater konstanz als Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, Experimentierfeld für szenische Ideen und (Kunst-)Schule zugleich.
Kerstin Daiber, Dipl. Dramaturgin, Studium Bayerische Theaterakademie August Everding / Universiteit Utrecht, 2009 bis 2011 Dramaturgin am Theater Konstanz.
Sarit Streicher, BA Theaterpädagogin, Studium ArtEZ hogeschool voor de kunsten Arnhem, Theaterpädagogin am Theater Konstanz.