Theater der Zeit

22. Das fliegende Ohr

Ich höre was, was du nicht mehr hörst, und das ist die Musik von damals.

Erschienen in: Eine Puppe packt aus – Dokumentarroman (07/2023)

Amsterdam Balloon Company (aus dem Programmheft)
Amsterdam Balloon Company (aus dem Programmheft)Foto: Amsterdam Ballon Company

Das besetzte Haus in der Rosenthaler 68 kann alles hören, was die Stadt zu berichten hat, denn Rampazzo hat irgendwoher ein riesiges Ohr aus Polyester aufgetrieben und das Ding an den Schornstein geschraubt. Der Eimer sieht für ein paar Wochen wie ein Bild von René Magritte aus, dem belgischen Surrealisten aus den 20er Jahren.

Das Ohr hört täglich den illegalen Sender „Radio P“, wie Prenzlauer Berg. Es hört, wie Aljoscha Rompe, der Frontmann von „Feeling B“ für die autonome Aktionsgruppe Wydoks wirbt, die im Mai bei der letzten Kommunalwahl der DDR auf verlorenem Posten in Ost-Berlin steht.

Das Ohr hört den Taler rollen und die krummen Geschäfte des Gebrauchtwagenhändlers brummen. Es hört, wie der überaus freundlich-schmierige Kerl der Reihe nach Hinz und Kunz, Meier, Müller und Schulz über den Tisch zieht und den netten, ahnungslosen Ossis im Kiez eine Schrottkarre nach der anderen andreht.

Unser Ohr ist ein rechtes Ohr, das auf links gedreht ist, es hört, wie zirka tausend teils schaulustige, teils geldgeile Menschen zum Eimer strömen und auf der Straße darauf warten, dass, wie angekündigt, 5.000 Westmark zum Fenster hinausgeworfen werden.

Dass es nur 5.000 West-Tresen-Pfennige werden, also fünfzig Mark, zählt zum Glück keiner nach, da jeder nur...

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