Vermitteln
von Felix Lempp
Erschienen in: Lektionen 8: Neue Dramatik (10/2025)
I.
„Dramatische Texte stehen weder an Schulen noch an Hochschulen und Seminaren hoch im (Dis)kurs“.1 Mit dieser Klage beginnen Rudolf Denk und Thomas Möbius ihren Entwurf einer systematischen Didaktik des Dramas und Theaters. Sie klingt entmutigend – aber ist sie in ihrer Apodiktik berechtigt? Zu einer abweichenden Einschätzung kommt etwa Clemens Kammler: „Wenn es im Deutschunterricht einen Kernbestand literarischer Texte gibt, der […] unangefochten über mehrere Generationen tradiert wurde, so trifft dies auf die Gattung Drama in besonderem Maße zu.“2 Sein Eindruck wird durch die ministerialen Lektürevorgaben für Deutsch-Abschlussprüfungen in verschiedenen Bundesländern gestützt. So steht oder stand beispielsweise Woyzeck in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westphalen, Sachsen und Schleswig-Holstein auf den Lektürelisten von Abschlussklassen 2023 bis 2025. Neben Georg Büchners Text wurden und werden laut dieser Listen im gleichen Zeitraum Dramen von Euripides, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Bertolt Brecht, Friedrich Dürrenmatt und Ingeborg Bachmann unterrichtet.3 Franz-Josef Payrhubers Erkenntnis, dass die Gattung Drama „immer auch als ‚pädagogisches‘ Medium interessant“4 sei, scheint also auch heute noch Gültigkeit zu haben. Doch legt die Aufstellung der Pflichtlektüren gleichzeitig nahe, dass im Unterricht der „Kernbestand dramatischer Texte […] seit den späten 1960er-Jahren kaum Veränderungen erfahren“5...