5 Bewusstsein für verschiedene Spiel- und Sprechweisen und deren Brüche
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Will sich die Schauspielausbildung, wie Stegemann schreibt, im „Dreieck aus realistischem Schauspielen, epischem Spiel und performativem Spiel“ bewegen (vgl. Stegemann 2011, 104), muss sie sich mit verschiedenen Figurenkonzepten auseinandersetzen. Neben einer authentischen Figurenverkörperung gilt es, die Fähigkeit des Schauspielers bzw. der Schauspielerin auszubilden, sich einer fragmentarischen oder dekonstruierten Figurenkonzeption sowie unterschiedlichen Arbeitsweisen zur Verfügung zu stellen. Performativ-darstellerische Kompetenzen erfordern vor allem die Fähigkeit des Schauspielers bzw. der Schauspielerin, die persönliche Präsenz gegenüber der Repräsentation einer Figur hervortreten zu lassen, ein distanziertes Verhältnis zu einer Figur einzunehmen bzw. selbstreferentiell zu agieren.
Das Bewusstsein für verschiedene Figurenkonzepte schließt auch die Fähigkeit zum Bedienen verschiedener Spiel- und Sprechweisen und deren Brüche ein. Im Zusammenhang mit performativen Spielpraktiken steht insbesondere die Reflexionsfähigkeit für Prozesse des Tuns und Nicht-Tuns, ebenso wie für das Brechen von Darstellungs- und Sprechkonventionen und Erwartungsnormen. Der Bruch mit sprechgestalterischen Konventionen findet sich innerhalb der untersuchten Probenarbeiten beispielsweise in den chorischen und polyphonen Sprechweisen wieder, die aus der chorischen sowie musikalischen Arbeit am Text hervorgegangen sind. Dieser Bruch geht zum einen einher mit einem Zurückdrängen der semantischen Sprachebene gegenüber der musikalischen, zum anderen mit bestimmten Dekonstruktionstechniken, wie der Trennung von Spiel und Sprache, die ebenfalls die Wahrnehmung der Zuschauer/-innen anregen und...