Wahr ist, was sich gut anfühlt
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lob des Realismus (05/2015)
Wenn unter Realismus eine ästhetische Methode verstanden werden soll, mit deren Hilfe wir der Realität beikommen können, und wenn ein solches die Realität aufschlüsselndes Verfahren nur wahr ist, wenn es aus einer bestimmen Haltung zur Welt folgt, so stellt sich vor allen stilistischen Überlegungen die Frage nach der realistischen Haltung. Dass diese Frage heute großes Kopfzerbrechen bereitet, wenn sie nicht gar sofort mit Hohngelächter überzogen wird, soll uns nicht abhalten, sie dennoch zu stellen. Denn es nicht nur wahr, was sich gut anfühlt.
Wer also eine Runde von Künstlern verstören möchte, der muss ihnen nur die einfache Frage stellen: Was ist dein Klassenstandpunkt? Die Reaktionen sind anfangs verwirrt: Ist diese Frage ironisch oder etwa ernst gemeint, ist sie eine Zumutung oder eine Narrheit? Nachdem der übliche Ironieverdacht zerstreut ist, folgen meistens die bekannten Phrasen der Postmoderne: Es gebe doch keine Klassen mehr, denn wo sähe man heute noch die ausgebeuteten Arbeiter mit den schmutzigen Gesichtern, von denen Marx berichtet hätte? Und außerdem sei heute doch jeder Einzelne ein hoch spezialisiertes Individuum, das sich nur noch flüchtig funktionalen Systemen zuordnen lasse: mal Familienmensch, mal Wechselwähler, meistens Steuerzahler und immer Konsument, Theaterbesucher leider nur noch selten.
Hier würde man gerne mit einem...