Die Rätsel der Welt im Brennglas des Ästhetischen
von Jakob Hayner
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Zeitlebens hegte Georg Lukács den Plan, eine systematische Ästhetik zu verfassen. Als »vollständig gescheitert« beschrieb er einen ersten Versuch aus seinen Heidelberger Jahren. Diese Feststellung findet sich allerdings im Vorwort seiner 1963 veröffentlichten Schrift »Die Eigenart des Ästhetischen«, die als erster Teil seiner »Ästhetik« angelegt war. Das Scheitern blieb also nicht von Dauer, die Sache verlangte, ausgearbeitet zu werden. Lukács trug schwer daran, dass der Marxismus keine eigene Ästhetik hervorgebracht hatte. Oder anders gesagt: Das, was es gab, konnte ihn nicht zufriedenstellen. Einerseits unsystematische Bemerkungen im Werk von Marx und Engels, andererseits historische Abhandlungen, die zwar Entwicklungen in der Kunst und deren ökonomischen Voraussetzungen aufzeigten, aber die Frage nach dem Wesen des Ästhetischen gar nicht berührten. Und genau dazu gedachte Lukács den entscheidenden Beitrag zu leisten.
Lukács stand in doppelter Opposition: Gegen den bürgerlichen Idealismus einerseits und andererseits gegen den mechanischen Materialismus, wie er es nennt. Kunst ist also weder eine unveränderliche Idee am entsprechenden Ideenhimmel, die es gelegentlich in die Niederungen des weltlichen Lebens stürzt, sie ist aber auch nicht zu reduzieren auf eine quasi vorherbestimmte Kette von determinierenden Bestimmungen. Das meint aber auch, in dieser Opposition selbst einen wirklichen Gegensatz zu sehen, der sich nur auf verkehrte Weise...