Kippmomente
Über Aktivismus, Theater und Politik
Erschienen in: Recherchen 156: Ästhetiken der Intervention – Ein- und Übergriffe im Regime des Theaters (04/2022)
Assoziationen: Wissenschaft
Als im Sommer 2020 die Black Lives Matter-Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte und sich tausende Menschen in den USA sowie in vielen europäischen Ländern auf die Straße begaben, um gemeinsam gegen institutionellen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren, gingen unter anderem Bilder von gestürzten Denkmälern um die Welt. Eine ganze Reihe kolonialistischer Statuen – seien diese von Führern der Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg wie Robert Lee oder Jefferson Davies, von in den Sklavenhandel verstrickten Staatsoberhäuptern wie dem belgischen König Leopold II. oder kolonialen ›Entdeckern‹ wie Christoph Kolumbus – wurde von Demonstrierenden zu Fall gebracht. An der politischen Debatte, welche Art von Denkmal man anstelle der gestürzten oder geköpften Statuen wieder aufstellen könnte, beteiligte sich auch der britische Street-Art-Künstler Banksy mit einem Entwurf für seine Heimatstadt Bristol, wo die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Juni 2020 spektakulär von ihrem Sockel ins Hafenbecken gestürzt worden war (Abb. 1). Banksys gesprühter und anschließend in den sozialen Medien verbreiteter Entwurf (Abb. 2) zeigt die sich in einem Winkel von 30 Grad neigende, im Kippen befindliche Skulptur, die von vier an einem Seil ziehenden Demonstrant:innen zu Fall gebracht wird.1 Er dokumentiert damit ein Bild des Protests, das eine Kraft...