Begriff „freies Musiktheater“
von Rainer Simon
Erschienen in: Recherchen 101: Labor oder Fließband? – Produktionsbedingungen freier Musiktheaterprojekte an Opernhäusern (02/2013)
Seit einigen Jahren kursieren in der Musiktheaterwissenschaft sowie in der Musiktheaterpraxis verschiedene Begriffe, um Musiktheaterprojekte wie die eingangs erwähnten zu bezeichnen. Durch ihren Gebrauch wird auf unterschiedliche Aspekte dieser Tendenzen hingewiesen: So rekurriert Clemens Risi mit dem Begriff „Dekonstruktion“ auf Versuche, Opernpartituren zu fragmentieren, die so entstandenen Teile „neu zu kombinieren[,] [und] durch die Zusammenstellung mit eigentlich nicht zusammengehörigem Material neuen Reibungen auszusetzen – eine Tendenz, die im Schauspiel seit längerem bereits praktiziert wird […].“1 Detlef Brandenburg nimmt die gleichen Musiktheaterformen wahlweise mit den Begriffen „Opernrecycling“, „Stückezertrümmerung“ oder auch „Dekonstruktion“ in den Blick, wenn er darüber schreibt, wie traditionelle Opernwerke in ihre „recyclingfähigen Bestandteile zerlegt [werden], um aus diesen Fragmenten zeitgemäße theatrale Formen aufzubauen.“2 Mit Begriffen wie „Genre-“, „Sparten-“ oder „Grenzüberschreitung“ wird demgegenüber weniger auf den Umgang mit Werktexten als vielmehr auf die „Integration von spartenfremden Phänomenen“3 und das Experimentieren an den Genregrenzen, durch welche Aufführungen als Opern-, Theater-, Tanzvorstellung oder Konzert deklariert werden, Bezug genommen. Das Konzept der „Kreationen“ bezieht sich innerhalb dieser Strömung ganz konkret auf die genreüberschreitenden Musiktheaterprojekte, die unter der Leitung von Gerard Mortier bei der Ruhrtriennale von 2002 bis 2004 produziert wurden.4 Da diese Kreationen teils auch durch Verfahren der Dekonstruktion...