Kathrin Röggla „wir schlafen nicht“
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lob des Realismus (05/2015)
Georg Lukács stellte in der aufgeheizten Debatte der 1930er Jahre eine Frage, der heute wieder die gleiche Dringlichkeit zukommt. Er fragte, „ob der geschlossene Zusammenhang, die Totalität des kapitalistischen Systems, der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Einheit von Wirtschaft und Ideologie objektiv, unabhängig vom Bewusstsein, in der Wirklichkeit ein Ganzes bildet.“65 Schon damals schien seinen Zeitgenossen diese Frage eine Ungeheuerlichkeit, gegen die stellvertretend Ernst Bloch das Argument formulierte, das bis heute das Denken der Avantgarden bis zur Postmoderne bestimmt: „Weil Lukács einen objektivistisch-geschlossenen Realitätsbegriff hat, darum wendet er sich bei Gelegenheit des Expressionismus gegen jeden künstlerischen Versuch, ein Weltbild zu zerfällen (auch wenn es das Weltbild des Kapitalismus ist). Darum sieht er in einer Kunst, die Zersetzungen des Oberflächenzusammenhangs auswertet und Neues in den Hohlräumen zu entdecken versucht, selbst nur subjektivistische Zersetzung; darum setzt er das Experiment des Zerfällens mit dem Zustand des Zerfalls gleich.“66
Lukács konnte auf diesen Einwand noch mit der Autorität des marxschen Denkens antworten, das eine Totalität der Produktionszusammenhänge nachweist. Heute ist dieser Hinweis nur noch ein Zitat aus einer vergangenen Welt. Die Relativierung der Realität und ihrer Erkennbarkeit ist in den Schlaufen der Rekursion festgeschrieben. Dass die Beobachtung eines Vorgangs diesen beeinflusst, weiß heute...