3. Kurze Geschichte einer Entfremdung
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Das 1 Prozent hält die 99 Prozent so weit ganz gut im Griff und verfügt über einen Vorsprung von gleich mehreren siegreich geführten Schlachten. Es trieb den populären Klassen das Klassenbewusstsein nach Kräften aus, dabei assistierte eine (neue) Linke, die den vermeintlich allzu groben Denkwerkzeugen abschwor. Gender und Race samt ihrer Untergliederungen bestimmen seither die Debatte, Individualisierung, Pluralismus, Universalismus, Kontingenz; Class gilt als obsolet, und dies angesichts eines Klassenbewusstseins der Eliten, das so homogen, so gefestigt, so offensiv daherkommt wie zuletzt in den Frühzeiten des modernen Kapitalismus.21 Wer den Leitdiskursen weder folgen kann noch will, weil er in seiner Lage festsitzt, die Verheißungen der neuen Freiheiten als Zynismus erlebt, Differenzen überwinden, diversity in gemeinschaftsverträglichen Grenzen halten möchte, sieht sich rüde abgekanzelt, beschämt, rechts liegen gelassen. Nach den Landtagswahlen hierzulande im Frühjahr 2016 beschwichtigte eine führende Politikerin der Linken die Verluste ihrer Partei mit der Bemerkung, wer in zentralen Fragen wie der Zuwanderung „Kurs halte“, verliere eben Wähler. Kein Gedanke daran, die berechtigten Anliegen dieses Teils des Publikums aufzugreifen, seinen Protest, politisch überhaupt nicht mehr wahrgenommen zu werden, zu verstärken; stattdessen Schulterschluss mit den Regierenden und eiliges Abrücken vom Vulgus. So stößt man Menschen vor den Kopf, treibt sie ins...