Schwerpunkt
Die Hindernisse geben den Weg vor
Ein Werkstattgespräch mit Christian Thurm über Bühnenbilder und Erzählräume im Theater für junges Publikum
Erschienen in: IXYPSILONZETT: IXYPSILONZETT 01/2016 – Bühnen und Bilder für junges Publikum (05/2016)
Assoziationen: Akteure Kinder- & Jugendtheater Schnawwl Kinder- und Jugendtheater am Nationaltheater Mannheim

Über 60 Bühnenbilder hat Christian Thurm seit 2003 für den Mannheimer Schnawwl und die Junge Oper geschaffen und damit das Gesicht des Jungen Nationaltheaters mitgeprägt, an dem er zuvor bereits als Technischer Leiter tätig war. Ein Porträt.
Mannheim ist nass an diesem Nachmittag. Nass und grau. Christian Thurm wartet vor dem Eingang zu den Werkstätten des Nationaltheaters. „Das perfekte Wetter für Erkältungen“, sagt er auf dem Weg durch die Schreinerei in den Besprechungsraum und lacht leise. „Ich spür’s auch schon bei mir.“ Weiß und aufgeräumt sitzt es sich hier während im Haus um einen herum geschraubt, geschnitten und gemalt wird. Aber auch hier haben sich neben dem blanken Konferenztisch noch zwei Schneidemaschinen hineingeschummelt. Ein Ort, der auch ganz gut als Sinnbild für die Arbeitswelt von Thurm stehen könnte.
Christian Thurm war seit 1997 Technischer Leiter am Jungen Nationaltheater und ist seit dieser Spielzeit Ausstattungs- und Produktionsleiter. Davor standen fünf Jahre Messebau, ein Industriedesignstudium an der Kunstakademie in Stuttgart und die Ausbildungen zum Schreiner und Schlosser auf dem Plan. „Ich war ja nie ein guter Schüler“, holt Thurm aus und lacht. „Aber nach der Schule wollte ich’s meinem Vater zeigen, der war auch Industriedesigner.“ Eine Tätigkeit, die Christian Thurm gerne mit seiner heutigen Arbeit vergleicht. „Als Industriedesigner arbeitest du auch viel mit Bildern und der Erstellung von neuen Welten, gerade in der Entwicklung von Messebausystemen.“ Und doch hat es ihn ans Theater verschlagen.
Mit den Augen des Zuschauers schauen
Christian Thurm zeichnet seit dreizehn Jahren als Bühnenbildner und Ausstatter für mittlerweile über 60 Produktionen des Schnawwl und der Jungen Oper verantwortlich. Schon während seines Studiums begann Thurm mit dem Entwerfen von Bühnenausstattungen in der Freien Theaterszene und entdeckte das Bauen von neuen Welten auf der Bühne für sich. 2003 entstand dann seine erste Ausstattungsarbeit im Theater für junges Publikum mit der Mannheimer Premiere von Andri Beyerles „Die Kuh Rosemarie“ unter der Regie von Thomas Hollaender. Der offizielle Startschuss also für Thurms Arbeit an Bühnenräumen für junge Zuschauer. „Und das ist schon das, was ich wirklich machen will. Was mich wirklich interessiert“, sagt er mit dem Blick aus dem Fenster. Da draußen regnet sich der Frühling fröhlich ein.
„Ich versuche immer mit den Augen des Zuschauers zu schauen“, beginnt Thurm von seinen Arbeitsprozessen zu erzählen. „Der Zuschauer ist auf jeden Fall mein Fixpunkt zur Orientierung bei der Arbeit.“ Ausgehend von Text und Idee der Inszenierung beginnt Thurm seine Suche nach Bildern und möglichen Räumen in der Regel schon vor dem Zusammentreffen mit dem Regisseur und dem restlichen Team. Ein, zwei Modelle, so erzählt er, bringt er dann gleich zur ersten Besprechung schon mit. „Oft hat die Regie noch keine Bilder im Kopf vor dem Beginn der Arbeit und da ist das eine gute Gesprächsgrundlage. Auch, wenn am Ende vielleicht eine ganz andere Idee auf der Bühne zu sehen ist.“ Und dann sei es wichtig, sich von seiner Idee lösen zu können. „Gegen die Verliebtheit in die eigene Idee arbeiten zu können, ist eine der Grundvoraussetzungen für meine Arbeit.“
Wirkräume für Erzählungen
Wenn Christian Thurm über seine Bühnenbilder spricht, dann redet er von Wirkräumen. Orte der Abstraktion und der Erzählung. Orte, die mit einem räumlichen Zeichensystem arbeiten, um Grundideen der Inszenierung und der Stückvorlage zu transportieren. „Kummer und Courage“ ist dafür ein gutes Beispiel. Das Stück spielt zur Zeit der Napoleonischen Kriege und da mussten wir die Zuschauer erst einmal in diese Zeit bringen. Anders formuliert musste ich beweisen, dass diese Kriege wirklich passiert sind.“ Eine Bühnenarbeit, die sich für ein komplexes Zusammenspiel von historischen Gemälden, Materialien und Objekten entschied, um mit klaren Zeitzeichen, wie Thurm es nennt, den Raum für ihre Erzählung zu bauen.
„Und natürlich ist eine Bühne auch immer ein Erzählraum“, wirft er ein. „Aber eigentlich sollen die Spieler erzählen. Und je mehr die erzählen, desto mehr nehme ich mich zurück.“ Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, wie die Arbeit an „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ unter der Regie von Marcelo Diaz zeigt. Hier ist es eine simple, flexible Bühne, die der Vorlage von Mark Haddon und Simon Stephens zu einem multifunktionalen Erzählraum verhilft. Eine bewegliche Rückwand mit zwei farblich unterschiedlichen Seiten und ein schlichter Kasten lassen sich hier schnell zu immer neuen Orten umbauen, während die Spieler von einer Szene zur nächsten springen. „Bei den meisten Erzählweisen im Theater für junges Publikum müssen sich die Räume fließend umbauen und verwandeln lassen.“ Und das nicht immer nur aus dramaturgischen Gründen, sondern häufig auch bedingt durch räumliche oder logistische Einschränkungen, die viele Spielorte vorgeben. Die Herausforderungen des Alltags sozusagen. „Aber ich mag diese Hindernisse. Die geben den Weg vor und der muss ja nicht unbedingt schlecht sein.“
„Irgendwas liegt immer in der Luft.“
Seine Arbeit als „Raumerfinder“ führte Christian Thurm in den vergangenen Jahren unter anderem an das Staatstheater Oldenburg, DNT Weimar, Theater Dortmund, Staatstheater Mainz und das Ranga Shankara Theater im indischen Bangalore. Temporäre Ideenlosigkeit oder Bildermüdigkeit waren dabei nie ein Problem, so erzählt er. „Es hilft, dass ich nicht stilgebunden bin und versuche, frei von wiederkehrenden Merkmalen zu bleiben. Was mir nicht schwer fällt, weil ich mir gerne Neues aneigne.“ Generell, sagt Thurm, ist es schon so, dass man bei dem Blick auf die Bühnenlandschaft sieht, wie die Bilder immer gewissen Moden unterworfen sind. Mal sind es schräge Bühnen, mal Wasser oder Wind und dann sind es Tiere. „Das kommt dann immer in Wellen.“ Dabei gehe es allerdings nicht um das Kopieren von anderen Arbeiten, sondern vielmehr um die Verarbeitung von unterschiedlichen Einflüssen. Seien es neue Materialien oder neue Medien, irgendwas, so Thurm, liegt immer in der Luft. Dazu gehören in den letzten Jahren auch viele Stückentwicklungen, an deren Ausgangspunkt nicht eine konkrete Textvorlage oder Regieidee stehen, sondern oft eine längere Forschungs- und Recherchephase. „Das ist dann immer ein aufregendes Ping- pong-Spiel mit Ideen, die man sich im Team zuspielt.“ Ein gemeinsamer Entwicklungsprozess, der Erzähl- und Wirkraum eng zusammenrücken lässt.
Zwei seiner jüngsten Raumbilder, die Faust-prämierte Schnawwl-Produktion „Tanztrommel“ unter der Regie von Andrea Gronemeyer und „drei dabei“ vom Jungen Ensemble Stuttgart (Regie: Brigitte Dethier), sind Teil solcher Stückentwicklungen, die nicht nur von einer engen Zusammenarbeit im Team erzählen, sondern auch von Christian Thurms Freude an Maschinen und mechanischen Abläufen. „Ich kann da gar nichts dagegen tun, mich faszinieren mechanische Apparate einfach.“ Sei es eine scheinbar massive Wand, die sich bei „Tanztrommel“ langsam auflöst und hier nicht nur eine Tänzerin und einen Musiker zusammenbringt, sondern auch zahlreiche Perkussionsflächen und Spielräume versteckt hält, eine multifunktionale Wippe, die bei „drei dabei“ zum Spielpartner gemacht wird oder schlicht eine bewegliche Rückwand wie in „Supergute Tage“ – Wandelbarkeit und Verspieltheit treffen sich in Christian Thurms Arbeiten immer wieder. Mal in reduzierten Bühnenaufbauten, mal in komplexen Bilderwelten. Mal als Insellösung, die den konzentrierten Blick auf einen bestimmten Ausschnitt ermöglicht, mal als Raumlösung gedacht, die den gesamten Theaterraum zur Spielfläche macht, sucht er nach der richtigen Entscheidung für das Empfinden und die Sehweise der jeweiligen Produktion. Zwischen historischen Zitaten (Kummer und Courage), bunten Bücherbergen (Das Buch von allen Dingen) oder auch in futuristischer Leere (denn sie wissen nicht was sie tun) baut Thurm seine Wirkräume für das junge Publikum. Den Blick dabei immer auf die Stuhlreihen gerichtet, für die freie Sicht und die Lesbarkeit. Und auf die eigene Arbeit. „Du musst kritisch bleiben, auch gegenüber dir selbst. Und vor allem darfst du nie etwas mit deinem Geschmack begründen. Ob ein Bühnenbild und seine Ausstattung gelungen ist oder nicht, ist kein Zeichen von Geschmacksvorlieben.“
Draußen hat der Regen gerade die Sicht wieder freigegeben, als wir uns auf den Weg zum Ausgang machen. Vorbei an den Produktionsräumen, die hier täglich an technischen und bildnerischen Umsetzungen der Ideen von neuen Erzählräumen arbeiten. Räume für das Spiel mit Geschichten und Perspektiven. Und den unterschiedlichen Blicken auf unsere Welt, die für Christian Thurm bei seiner Arbeit immer wieder aufs Neue zum Abenteuer werden.