Dreiecksbeziehungen
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Sprechen beruht auf einem Dreiecksverhältnis. Sprecher richten sich an Hörer und beziehen sich dabei auf etwas, z. B. einen Gegenstand oder einen Sachverhalt. Sprecher und Hörer können mit ihrer Aufmerksamkeit zwischen dem Gegenstand oder dem Sachverhalt und den jeweiligen Kommunikationspartnern wechseln. Kinder beginnen im ersten Lebensjahr, mit dem Blick zwischen der Mutter und Objekten in ihrer Umgebung zu wechseln und dem Blick oder der Geste der Mutter zu folgen bzw. explizit auf etwas zu zeigen. So entsteht ein referenzielles Dreieck zwischen Mutter und Kind und einem Gegenstand, auf den beide die Aufmerksamkeit richten. Im Rahmen dieses miteinander geteilten Aufmerksamkeitsraumes geht die Verbindung nicht verloren, wenn die Blicke oder Gesten zwischen den Kommunikationspartnern gewechselt werden. Auf diese sehr frühe Fähigkeit kann in der Ausbildung von Schauspielstudierenden zurückgegriffen werden. Es fasziniert mich immer wieder, wenn es Schauspielern mühelos gelingt, durch einen Blick oder einen klar ausgerichteten Körper die Aufmerksamkeit des Publikums zu lenken, sodass alle Zuschauer gespannt in eine Ecke der Bühne schauen, ohne dass auch nur ein Wort gesprochen wurde. Dieses Phänomen nutze ich im Unterricht. Wenn ich die Aufmerksamkeit der Studierenden beispielsweise auf den neuen roten Ball lenke, der auf dem Fensterbrett liegt, ohne mich explizit stimmlich zu äußern, probiere...