Weniger und mehr als zwei
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Was ist eine Falte? Es fällt auf, dass der Begriff sich auf diverse und heterogene Disziplinen und Materialien erstreckt, namentlich auf die Mathematik, die Geologie, die Dermatologie, die Schmetterlingskunde, auf handwerkliche Techniken wie die Schmiederei, auf das Feld der Textilien, der Kleider, Leinwände und Vorhänge, und natürlich auch auf den Bereich des Papiers und der Bücher. Wie immer sich Bedeutung und Stellung des Begriffs in den verschiedenen Sujets unterscheiden mögen, so faltet er diese in gewisser Weise doch selbst an- oder ineinander – und der Barock liebt es, solchen möglichen Ineinanderfaltungen nachzuspüren. Deswegen modelliert er so gerne aus dem gefältelten Marmor Skulpturen und Standbilder, die wilde Bewegungen einfrieren, im Stein Kleiderfalten, Stoffwürfe oder auch sich aufblätternde Buchseiten inszenieren und so die flüchtigsten Momente in festestes Material hinüberwachsen lassen. Deswegen lässt er, etwa auf den Bildern Rembrandts und Rubens’, die Partikel der Leinwand ununterscheidbar in gemalte Haut oder Textilien übergehen. Und nicht zuletzt kann deswegen Leibniz’ »Wappentier«, der Schmetterlingsfalter, als ein barockes Emblem par excellence angesehen werden.1 Aber was ist das Verbindende der einzelnen Falten, die Falte der Falten? Die Geologie, die drei große Typen von Falten kennt – Biege- und Knickfalten, Scherfalten, Fließfalten – bestimmt den Vorgang der Faltung als...