»Wer bin ich, wenn ich spreche?«
Julia Kiesler im Gespräch über die Sprechausbildung
von Frank Schubert und Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 153: Wer bin ich, wenn ich spiele? – Fragen an eine moderne Schauspielausbildung (03/2021)
rank Schubert: Du hast deinen Schauspielstudierenden im fünften Semester die Aufgabe gegeben, sich für die Arbeit im Sprechunterricht einen Text von Elfriede Jelinek, Heiner Müller oder René Pollesch auszusuchen.
Julia Kiesler: Freiwahltexte mache ich immer wieder. Aber im dritten Studienjahr arbeite ich gern mit Autoren, die postdramatische Texte geschrieben haben. Von Heiner Müller waren natürlich die Intermedien dabei, die man in Zement findet. Eine Studierende hat sich den Prosatext Traumtext Oktober 1995 ausgesucht, den Müller kurz vor seinem Tod geschrieben hat. Zwei Studierende haben sich einen Monolog von Pollesch ausgesucht und die meisten Frauen haben Texte von Elfriede Jelinek gewählt. Da wurde auf Wolken.Heim., Rein Gold, Rechnitz (Der Würgeengel) und Ulrike Maria Stuart zurückgegriffen.
FS: Welche Intentionen stehen hinter dieser Aufgabenstellung?
JK: Mich interessiert, die Studierenden mit postdramatischen Texten Erfahrungen machen zu lassen. Ich finde in diesen Texten nicht mehr unmittelbar eine Figurensprache wieder. Jelineks Texte sind stark von Vielstimmigkeit und Intertextualität gekennzeichnet. Sie stellt Bezüge zu anderen Texten und anderen Autoren her. Sie zitiert. Das wird auch kenntlich, ohne dass sie Zitate nach- oder ausweist. Ihre Texte sind gespeist von ganz unterschiedlichen Stimmen. Die Herausforderung ist, wie ich damit schauspielerisch oder eben auch sprechgestalterisch umgehe. Was mache ich daraus?...