Theater der Zeit

Editorial

Erschienen in: ixypsilonzett: Natur als Akteur*in (05/2022)

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Sprechende Bäume und singende Steine, weise Schildkröten und der Sturmwind als Ratgeber: In Mythen und Sagen aller Länder kommen sie vor, Tiere, Pflanzen und Naturphänomene, die mit auserwählten Menschen sprechen und interagieren können. Im Reich der Märchen, Fabeln und der Fantasy sprechen sie unsere Sprache, treten uns vermenschlicht, anthropomorphisiert, gegenüber. Auf der Theaterbühne agieren sie als Figuren, die uns in vielen Zügen ähnlich sind. Wir spiegeln uns in ihnen. Sind sie keine handelnden Subjekte, dann sind sie Requisiten. Eine Möhre, ein Eimer Wasser. Seelenlose Dinge – wenn sie nicht, wie im Figuren- und Objekttheater, animiert und zum Leben erweckt, zu handelnden Figuren erhoben werden. Wie aber würde eine Pflanze ‚als sie selbst‘ agieren, wenn man ihr den Raum dazu gäbe? Was macht das mit unseren Begriffen von Figur und Spannung, von Handlung und Dramaturgie?

In dieser Ausgabe von ixypsilonzett stellen wir Theaterschaffende vor, die Natur als handelndes Subjekt verstehen und ihr eine Bühne bieten. Nicht als Requisit, nicht als anthropomorphisiertes Wunderwesen, sondern ‚als sie selbst‘, als Partnerin, als Gegenüber.

Was – so haben wir uns in der Redaktion gefragt – entsteht da künstlerisch Neues im Fahrwasser der Diskussion um ökologische Nachhaltigkeit?

Interessiert hat uns auch, was sich juristisch gerade verändert: Mehr als 30 Länder arbeiten aktuell daran, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen. Tiere, Pflanzen und Biotope erhalten damit eine Stimme, einklagbare Rechte – Ecuador war 2008 das erste Land, das diese Rechte in seiner Verfassung verankerte. Damit treten Pflanzen und Tiere dem Menschen juristisch gleichberechtigt an die Seite.

Wir verlassen nicht nur den Theaterraum oder erfinden – begrünen – ihn neu, sondern wir verlassen auch das uns bekannte Terrain des Wissens und Könnens. Wissensbestände und Forschungsfragen anderer Disziplinen interessieren uns ebenso wie die Fähigkeiten und Entscheidungen unserer nicht-menschlichen Partner*innen.

Wir haben gefragt: Wie sieht es in den Darstellenden Künsten für junges Publikum aus, worauf können wir gespannt sein? Unsere Autor*innen – in dieser Ausgabe noch ausschließlich Menschen – lassen uns an ihren Überlegungen teilhaben.

PS: Zu unserer Bildstrecke „Pflanzen in Intendanzen“ haben uns nicht nur die hier gewählten Fotos (und viele weitere) erreicht, sondern auch spannende Kurztexte zu Pflanzen als Kolleg*innen im Theater. Danke dafür.

Meike Fechner / Birte Werner

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