Theater der Zeit

Auftritt

Dresden: In Spießigkeit vereint

Staatsschauspiel Dresden: „Homohalal“ (UA) von Ibrahim Amir. Regie Laura Linnenbaum, Bühne Valentin Baumeister, Kostüm David Gonter

von Michael Bartsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)

Mit charmanter Hinterlist führt uns der 1982 in Aleppo geborene Autor Ibrahim Amir zunächst in ein Scheinidyll. Er gaukelt dem Zuschauer eine rundum befriedete Stadt im Jahre 2037 vor. In dieser frohen Zukunft gibt es keine Wutbürger mehr, man hat einander lieb. Die einst Angst erregenden Araber sind längst mit den „Eingeborenen“ familiär verbandelt und bravbürgerlich angepasst. Das esoterische Gesäusel der leicht übergeschnappten Imamin Barbara trifft sich prima mit der Jenseitigkeit des Islam. Linkssein und Gutmenschentum sind in diesem Stück – das Amir nach der Absetzung der Uraufführung am Wiener Volkstheater im Vorjahr für Dresden neu bearbeitet hat – zu einer modischen Attitüde geworden. Dazu fällt einem nicht einmal mehr das Reizwort Multikulti ein, es handelt sich wohl eher um ein uniformes „Lifestyle-Kulti“.

Authentisch ist eigentlich nur der Syrer Rouni Mustafa geblieben, den man noch aus der „Morgenland“-Inszenierung der Bürgerbühne kennt. Er steht zwar als Michi auf der Bühne, aber auch als er selbst: „Ich bin nicht meine Kultur. Ich bin nicht meine Religion … Ich bin Rouni, einfach Rouni“, gibt er uns im Prolog zu verstehen. Im Folgenden wird er wie ein Kobold durch die Inszenierung geistern.

2037 findet ein erweitertes Großfamilientreffen statt. Ibrahim Amir hat dafür einen makabren Anlass erfunden, eine Trauerfeier für Abdul, der angeblich Selbstmord begangen hat und von einer Brücke gesprungen ist. Vereint ist diese Gesellschaft indes nur in ihrer Spießigkeit und Affektiertheit. Vater Said (Matthias Luckey) reagiert hysterisch auf die Offenbarung, dass Söhnchen Jamal (Thomas Kitsche) schwul ist.

Die Übergeschnapptheit, mit der die junge Regisseurin Laura Linnenbaum diesen ersten Teil spielen lässt, erscheint angemessen. Die Szenen schlittern manchmal an der Grenze zum Boulevard entlang, über Borniertheit darf sich das hingerissene Publikum getrost amüsieren. David Gonter hat den Komödianten auch noch die passenden „Bonbonkostüme“ verpasst. Bis etwa zur Halbzeit der hundert Spielminuten fragt man sich, was in Wien acht Wochen vor der Premiere eigentlich zur Absetzung geführt haben mag, und ahnt gleichzeitig, dass es dramaturgisch nicht so weitergehen kann. Unmerklich schieben der Autor und die präzise arbeitende Regisseurin dieser hohlen Gesellschaft den Zündstoff unter. Später, als der tot geglaubte Abdul (Holger Bülow) plötzlich als eiskalte Rächerfigur wieder aus seiner Urne auftaucht und Benzin im Raum verschüttet, sogar im Wortsinn.

Aus der vermeintlichen Trauerfeier wird eine Art psychotherapeutische Familienaufstellung, die verdrängte Vergangenheit von vor zwanzig Jahren bricht sich Bahn – was bedeutet: unsere Gegenwart. Der Kitt der vermeintlich neuen Gesellschaft bröselt, Ressentiments waren lediglich zugedeckt worden, ethnische und religiöse Verschiedenheiten wurden nicht wirklich akzeptiert. Hinter individuellem Fehlverhalten scheinen die politischen Konflikte auf. Brüchige Ehen, die zum Zweck des Asyls geschlossen wurden, werden erneut und erbittert diskutiert, ebenso die Frage, was Flüchtlingshilfe wirklich bedeutet.

Ibrahim Amir teilt nach allen Seiten aus, sich selbst und seine Arbeit mit Anspielungen auf die „Quotenflüchtlinge“ nicht schonend. Originelle Regieeinfälle verleihen der eigentlich schwergewichtigen Bühnendebatte zusätzliche Leichtfüßigkeit. „Homohalal“ entkrampft mit Humor die aktuelle multiethnische Debatte, ohne sie zu entschärfen. Der Autor zeigt sogar ein gewisses Verständnis für die Verteidigungshaltung der Europäer. Mutter Ghazala (Annedore Bauer) will sich das hart erkämpfte, optimierte Leben in Demokratie und Sozialstaat nicht nehmen lassen. Sie hält den großen Schlussmonolog wie eine dreizehnte Fee, nachdem ihr lange schweigsames Jüngelchen Jussef (Valentin Kleinschmidt) den vom Zuschauer schon lange befürchteten Ausweg proklamierte: Hingabe und Heldentum gegen „kollektiven Anpassungswahn“, Formeln der Identitären.

Klappe zu, Affe tot, möchte man am Schluss ausrufen, wenn Bühnenschräge und der sich senkende Plafond von Valentin Baumeister Personen und Worte erdrücken. Eine Mischung aus bitterem Ernst und selbstironischer Heiterkeit, äußerst intensiv und präzise geprobt. In cleverer und dankenswerter Weise hat das Dresdner Staatsschauspiel nach dem Wiener Flop zugegriffen. Die Inszenierung hätte verdient, über die Interimsspielzeit und den Weggang der meisten Schauspieler hinaus in die im Herbst beginnende Spielzeit unter Intendant Joachim Klement übernommen zu werden. //

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