Klasse versus Identität
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Wendungen: Wutkultur (08/2021)
„Die beste konzise Definition von Faschismus lautet: die Ausweitung von Identitätspolitik auf den Bereich des Klassenkampfs.“
Slavoj Žižek9
Klassenpolitik geht davon aus, dass Menschen sich aufgrund ihrer vergleichbaren materiellen Lebensbedingungen in einer vergleichbaren Lage auf den Märkten befinden. Wer kein Eigentum besitzt, muss sich einen Markt suchen, auf dem er Geld erwirtschaften kann. Die meisten Menschen auf der Welt haben auf diesem Markt nur ihre eigene Arbeitskraft anzubieten. Ihnen steht dort die Klasse derjenigen gegenüber, die Menschen für sich arbeiten lassen wollen. Diese Seite verfügt über ein Eigentum, das durch menschliche Arbeit vermehrt werden kann. Die ungleiche Verteilung von Eigentum ist also der wichtigste Unterschied zwischen Arbeitern und Kapitalisten, und zwar unabhängig davon, ob sich jemand geachtet fühlt oder andere verachtet. Diesen Unterschied zu begreifen ist die grundlegende Bedingung, um Klassen zum Ausgangspunkt von politischem Handeln zu machen.
Identitätspolitik betreibt eine kategorisch andere Art der Gruppenbildung. Hier bestimmt keine objektiv ungleiche Verteilung von Kapital die Gruppe und ihre Interessen, sondern eine Identität. Identitätspolitik stiftet Gemeinschaft und schafft Abgrenzungen zu anderen Identitäten, die dann als benachbart, fremd oder sogar feindlich angesehen werden. Zur Kennzeichnung einer gemeinsamen Identität kann alles Mögliche herangezogen werden. Es kann der gemeinsame Wohnort sein, die Sprache,...