Magazin
Im Bauch des Verlages
Peter Handke und Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, Berlin 2012, 798 S., 39,95 EUR.
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)
Es darf Dynamit in einer solch ungleichen Beziehung von Verleger und Autor vermutet werden, eine schwer nach außen vermittelbare Gemengelage von Abhängigkeit und Auflehnung, dem Gefühl, nicht genug geliebt oder (und) ausgebeutet zu werden. Da bleibt in der Regel mehr unausgesprochen als ausgesprochen wird.
Umso erstaunlicher ist es, dass der nun erschienene Briefwechsel zwischen Verleger Siegfried Unseld und Autor Peter Handke zwischen 1965 und 2002 fast 800 Seiten umfasst – und auf den meisten Seiten zeigt sich das Verleger-Autor-Verhältnis frappierend freundschaftlich. Ein glücklicher Fall von Vater- Sohn-Ersatzbeziehung?
Handke, gerade Anfang zwanzig, darf sich einiges leisten an unbedarfter Ungestümheit, die ihm Patriarch Unseld gern verzeiht, erfreut er sich doch am Talent des jungen Mannes, der ihm 1965 „Die Hornissen“ anbietet. Ja, das gibt es, oder besser, das gab es: Ein Verleger freut sich – platonisch gesprochen – an der Buchwerdung eines Manuskripts. Es bestätigt ihn darin, dass er eben nicht nur dazu da ist, den Gewinn der Buchproduktion zu maximieren. Er ist auch Welthelfer des Besonderen. Im Anonymen entsteht gar nichts. Das Persönliche jedoch wird zur Gefahrenzone, in der Außerordentliches entsteht. Das ist das Erfolgsgeheimnis des Suhrkamp Verlages unter Siegfried Unseld.
Das briefliche Gespräch zwischen Unseld und Handke erinnert an jenes zwischen Peter Suhrkamp und Hermann Hesse (das Unseld 1969 herausgibt und das Handke als Innenansicht von Verlagsmechanismen interessiert) oder auch an das zwischen dem Hinstorff-Verleger Konrad Reich und Franz Fühmann. Man mutet sich einiges zu, aber man erwartet auch etwas voneinander. Schöne Utopie: Man wähnt sich für Momente unersetzbar. „Werden Sie bloß nicht zu übermütig, seien Sie fleißig, arbeiten Sie, schreiben Sie.“, so die Ermahnung des Verlegers nach der ersten großen positiven Handke-Rezension 1966 in der FAZ. Es folgen auch schlechte; besonders das, was die ZEIT schreibt, hält Handke für indiskutabel und auf unerträgliche Weise geistfeindlich.
Er will die unfähigen und bösartigen Kritiker zur Rede stellen, Unseld wirft sich im letzten Moment dazwischen: „Antworten Sie niemals auf schlechte Kritiken!“, lautet sein Rat. Handke macht jedoch etwas anderes: Er beginnt nun nach Möglichkeiten zu suchen, selber über Bücher zu schreiben, so wie er sich das idealerweise vorstellt. Und wieder ist es Hermann Hesse, der ihn dabei zu überraschen versteht. 1970 sind zwei Bände von „Schriften zur Literatur“ erschienen, und Handke bekennt gegenüber Unseld: „Ich habe die Bücher mit großem Staunen und immer mehr Neugier gelesen! Dieser Hermann Hesse … ist nicht nur eine romantische Idee der Amerikaner, sondern ganz gewiss ein vernünftiger, überprüfbarer großer Schriftsteller. Was mich vor allem beeindruckt, ist diese Zärtlichkeit und Freundschaft der Literatur gegenüber, die ich eigentlich auch langsam wiedergewinne, während mir die Verächtlichmachung gegenüber der Literatur immer verächtlicher wird.“
Unseld ist geschäftstüchtig genug, diese Sätze sofort für die Verlagswerbung zu nutzen. Aber so geduldig, wie sich der Verleger zumeist mit seinen Autoren zeigt, so unduldsam reagiert der Patriarch oft auf seine Lektoren. Zumal Ende der 60er Jahre, da eine Reihe Verlagsmitarbeiter meinen, auch bei Suhrkamp müssten nun antiautoritäre Zeiten anbrechen. Diese Art von „Lektorenaufstand“ kontert der Verleger kalt mit Entlassung. Handke, dessen Lektor davon betroffen ist, schreibt Unseld umstandslos: „Jedenfalls ist es schade, daß Du Dich nur als gekränkter, im Stich gelassener Machthaber sehen kannst.“
Erste Stücke erscheinen: „Publikumsbeschimpfung“ gefällt Unseld auf Anhieb, dabei dürfte die Form ihn befremdet haben. Aber Unseld besitzt die seltene Fähigkeit, völlig verschiedene Ausdrucksformen in ihrem Eigenwert zu erkennen. Bei Handke ist es Ende der 60er der Beat-Rhythmus, der in seine Texte einbricht wie eine Revolte, die sich dauerhaft befestigt. Und Unseld kümmert sich darum, dass sein Autor lernt, Steuern zu zahlen, erklärt ihm den Computer, der ab jetzt (1969!) im Verlag für die Abrechnungen zuständig sein wird, und vieles mehr. Als Handke ihm schreibt: „Ich hätte, ehrlich gesagt, auch gern einmal einen Minibestseller“, geht sogar dieser Wunsch umgehend in Erfüllung: „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ erscheint. //