Wenn man dieser Tage ein Buch von Georg Lukács zur Hand nimmt, wie etwa den kürzlich erschienenen „Teilband 1 (1902–1913)“ der vom Aisthesis Verlag verantworteten Werkausgabe, kommt man nicht umhin, die überaus prekäre Lage des Erinnerns an den ungarischen Intellektuellen in seinem Heimatland zu bedenken. Im letzten Jahr wurde, trotz internationaler Protestschreiben, das in der ehemaligen Wohnung des Denkers untergebrachte Lukács-Archiv geschlossen und so die Erforschung seines Werks und seines Wirkens weiter verunmöglicht. Im Februar wurde bekannt, dass im Stadtparlament von Budapest ein Antrag der neofaschistischen und antisemitischen Jobbik-Partei mit nur drei Gegenstimmen angenommen wurde, der den Abriss des Lukács-Denkmals in Szent-István-Park an der Donau vorsieht – und an gleicher Stelle die Errichtung eines Denkmals des nationalistisch überhöhten heiligen Stefan. So sieht die praktische Bereinigung des kulturellen Erbes in Ungarn aus. Grund genug, einen Blick auf den Band zu werfen, der die frühen Schriften zwischen 1902 und 1913 versammelt. Darunter befinden sich zahlreiche Theaterkritiken, theatertheoretische Schriften, der erstmals in deutscher Sprache vorliegende Essay „Ästhetische Kultur“ und die außergewöhnliche philosophisch-literarische Reflexion mit dem Titel „Die Seele und die Formen“, welche vor allem zum Verhältnis von literarischer Gattung und Welterkenntnis heute noch Anregendes bietet. Neben Texten über Henrik Ibsen sowie William Shakespeare...