Quelle 19: Der Schauspieler und die Über-Marionette
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
Die Schauspielkunst ist keine echte Kunst. Es ist deshalb unrichtig, vom Schauspieler als von einem Künstler zu sprechen. Denn alles zufällige ist Feind des Künstlers. Kunst ist das genaue Gegenteil des chaotischen, und Chaos entsteht aus dem Zusammenprall vieler Zufälle. Kunst beruht auf Plan. Es versteht sich daher von selbst, dass zur Erschaffung eines Kunstwerks nur mit den Materialien gearbeitet werden darf, über die man planend verfügen kann. Der Mensch gehört nicht zu diesen Materialien.
Die menschliche Natur ist ganz auf Freiheit gerichtet; so erbringt der Mensch mit seiner eigenen Person den Beweis, dass er als Material für das Theater untauglich ist. Da im heutigen Theater der menschliche Körper als Material verwendet wird, trägt alles, was dort geboten wird, den Charakter des zufälligen. Die Bewegungen des Schauspielers, der Ausdruck seines Gesichts und der Klang seiner Stimme sind den Strömen seines Gefühls unterworfen, diesen lebendigen Strömen, die immer den Künstler bewegen müssen, ohne ihn aber je mit sich fortreißen zu dürfen. Der Schauspieler ist seinen Gefühlen preisgegeben, sie bemächtigen sich seiner Glieder und lenken sie nach ihrem Willen. Er tanzt nach ihrer Pfeife, bewegt sich wie in einem bösen Traum, hin und her taumelnd, wie einer, der von Sinnen ist....