Magazin
Einfachheit oder artistische Montage
Die Brecht-Tage 2023 beschäftigten sich mit der „Kriegsfibel“
von Thomas Wieck
Erschienen in: Theater der Zeit: Freie Szene – Occasions – Ereignisse im Raum (04/2023)
Als Ulrike Haß den Titel ihres Vortrags „Erdbebenzone Eurasien. ‚Die Troerinnen‘ und Folgen“, entliehen aus dem Metaphern-Tresor Heiner Müllers („Das Preußen des Heinrich von Kleist ist eine Erdbebenzone, von Verwerfungen bedroht, angesiedelt auf dem Riss zwischen Westrom und Ostrom, Rom und Byzanz, der in unregelmäßigen Kurven durch Europa geht.“), aussprach, schrak sie angesichts des gegenwärtigen türkisch-syrischen Erdbebens auf. Frau Haß schlug die Gelegenheit aus, ihr Manuskript beiseitezulegen, das metaphorische Gespinst zu durchreißen, das Kalkül der deutschen nationalkonservativen Elite bloßzulegen und die geopolitischen Deutungen dieses Raums, der machtpolitisch immer das Glacis des Russischen Reiches war und der ihm, um es zu besiegen, entwunden werden musste, zu untersuchen und zu fragen, was das für die betroffenen Völker heute bedeutet.
Ulrike Haß verknotete ungerührt die trüben Metaphern eines „romantischen Modernismus“ (Richard Herzinger), die Heiner Müller nach 1990 in alle Welt streute, extrahiert aus den manichäischen Weltbildern der nationalkonservativen Publizisten und Wissenschaftler Oswald Spengler, Al-brecht Haushofer und Carl Schmitt zu einem schicksalhaften Bedeutungsnetz, das sie über den ukrainisch-russischen Krieg warf und ihn damit zum aktuellen Ausdruck des ewigen Kampfes zwischen dem Westen und dem Osten, zwischen Europa und Asien, überhöhte. Sie verharrte in der „Naturalisierung“ und „Mythologisierung“ der Menschheitsgeschichte, dem Hauptgeschäft der spekulativen deutschen...