Theater der Zeit

Auftritt

Bern: Die Artistik des Betrugs

Konzert Theater Bern: „Fifa – Glaube, Liebe, Korruption“ von Christoph Frick & Ensemble. Regie Christoph Frick, Ausstattung Clarissa Herbst

von Simone von Büren

Erschienen in: Theater der Zeit: Cordelia Wege – Schöpferisches Risiko (02/2020)

Assoziationen: Bühnen Bern

Die Fifa kommt nicht gut weg an diesem Abend, den Christoph Frick gemeinsam mit zehn Mitgliedern des Schauspielensembles am Konzert Theater Bern entwickelt hat. Kritik an der Fédération Internationale de Football Association, diesem berühmt berüchtigten gemeinnützigen Verein mit Sitz in der Schweiz, klingt schon im Titel an, wo „Korruption“ im berühmten Paulus-Zitat (1. Korinther 13,13) die „Hoffnung“ ersetzt. Die „Artistik des Betrugs“ war denn auch, was Frick im Vorfeld thematisch interessiert hatte und was für die anregendsten Momente des Abends sorgte. Eine Serie von inhaltlich dichten Monologen, die Recherchen und Interviews mit Journalisten, Fußballtrainern und Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter verarbeiten, entlarven die skrupellosen Geschäfte der Herren Sportinvestoren, die „Teflon-Kunst“ des selbsternannten „Ehrenmanns“ Blatter sowie die symbio­tische Nähe von Adidas-Gründer Adolf Dassler alias „Erfinder der Sportkorruption“ zu Fifa-Funk­tionären.

Mit Energie, Humor und szenischer Fantasie werden auf Augenhöhe der um drei Seiten des Kunstrasens sitzenden Zuschauer (Ausstattung Clarissa Herbst) die schmutzigen Deals und Vertuschungsstrategien der Fifa-Funktionäre und Sportsponsoren vorgeführt, die sich chorisch zu Konten auf den Seychellen und Briefkästen im Appenzell bekennen. Papiergeld – „Kaffeekasse, Kaffeekasse“ – quillt aus Unterhosen, wird verstohlen in Sportshorts gestopft oder zusammen mit haufenweise verfänglichen Akten kurzerhand unter den Rasen gekehrt. Die Aussprache von „Integrität“ stockt, der Zweck der Fifa geht im Respekt-Gefasel der krawattentragenden Funktionäre unter, die bei jeder Erwähnung von „Schmiergeld“ in Krämpfen von ihren Stühlen stürzen. Während Nico ­Delpy einen wunderbaren Beckett’schen Unsinn-Monolog zur Verteidigung der Fifa hält, scheffelt der Rest des Fifa-Clans – gefilmt von zwei Live-Kameras, wie bei Sportveranstaltungen nah am Geschehen – unter der Bühne Geldnoten und Kokain.

In diese Fifa-Episoden bricht regel­mäßig – Unterbruch, Dynamisierung, Ablenkung – das Spiel selbst ein: Das Team wirft Sakko und Hemd ab, enthüllt Shirts mit Nummern und Nachnamen und stürzt in grell leuchtenden Schuhen der führenden Marken aufs Spielfeld. Schnell, dynamisch und offen­sichtlich lustvoll werden nun die Leidenschaft der Fans in der Kurve, die Fangesänge von Schalke und des Berner Fußballvereins Young Boys, Schlüsselmomente der Fußballgeschichte, die Selbstverliebtheit der Spieler – im Close-up aufs schräge Stadiondach über der Bühne projiziert – nachvollzogen. Spiel trifft auf Spiel: die Selbstdarstellung der Schauspieler auf diejenige der Sportler, das So-tun-als-ob der Funktionäre auf die Kunst der theatralen Behauptung, die Plastizität von Bühnenzeit auf die Slow-Motion großer Entscheidungsmomente im Fußball.

„We have to bring Fifa back to football and football back to Fifa“, verkündet Gina ­Lorenzen als blonde Fifa-Präsidentin der Zukunft in Schräglage auf dem Stadiondach. Diese Kluft zwischen Funktionären und Spiel, Verein und Sport prägt die Dramaturgie des Abends, die in allzu großer Vereinfachung den Machtspielen und Dreckgeschäften des Vereins eine ursprüngliche, freudvolle, aus individuellen, teils autobiografischen Erlebnissen genährte Fußballbegeisterung gegenüberstellt: jugendliche Nachwuchsträume in Bosnien, die Faszination für die unterkühlte Selbstdarstellung eines Kultspielers wie ­Cristiano Ronaldo, von Milva Stark virtuos wiedergegebene Kindheitserinnerungen an Schalke-Spiele und die Schlussminuten des deutschen WM-Finalspiels 1990.

Das so entstandene vergnügliche Potpourri über Fußball schafft zwar gekonnt Bezüge zu Bern und zur Schweiz, wo die Fifa ihren Sitz hat und die Fifa-Präsidenten Blatter und Gianni Infantino herkommen. Auch zeugt der Abend von gründlicher Recherche, doch bleibt die Umsetzung oft in isolierter dokumentarischer Präsentation gefangen und entfaltet sich theatralisch nur begrenzt. ­Unbefriedigend ist vor allem die beständige Arien-Chor-Dramaturgie, in der sich lange Monologe mit choreografierten Episoden abwechseln und trotz offensichtlich großem Energieaufwand des ganzen Ensembles das Spiel nicht so recht in Gang kommen will. //

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