Auftritt
Shakespeare im Kletterwald Schorfheide: Ein Falstaff-Spaß
„Die lustigen Weiber von Windsor“ von William Shakespeare – Regie und Bühne Thomas Bading
von Thomas Irmer
Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater Theaterkritiken Brandenburg Kletterpark Schorfheide

„Abgebrannt in der Provinz“, klagt Falstaff, „hier in Groß Schönebeck, das in etwa von Berlin genauso weit weg ist wie Windsor von London.“ Es geht weiter mit der Selbsterklärung seiner Figur: Er „stamme ja eigentlich aus ‚Heinrich IV.‘ beide Teile“, und mit diesem improvisiert wirkenden Intro hat der Schaubühnen-Schauspieler Thomas Bading als Shakespeares lustig-traurige Gestalt die ersten Lacher im Sack und das Publikum auf seiner Seite. Wie es sich für einen genusssüchtigen Falstaff gehört, trägt er ein ausgepolstertes Kostüm (über Bauch und Hintern) und leuchtende Trinkerröte im Gesicht.
„Die lustigen Weiber von Windsor“ gilt als Auftragskomödie von Königin Elisabeth, die an Sir John Falstaff in der Historie von „Heinrich IV.“ als Weinfass auf zwei Beinen einen solchen Gefallen gefunden haben soll, dass sie gleich ein ganzes Stück mit dieser Figur bestellte. Darin versucht der abgebrannte Ritter über Liebschaften mit verheirateten Frauen an das Geld von deren Männer zu kommen und scheitert immer wieder jämmerlich. Im deutschsprachigen Theater gilt das possenhafte Stück seit Jahrzehnten als No-Go im Shakespeare-Kanon. Kritiker:innen bezweifelten wegen dessen mangelnden Tiefgangs, dass Shakespeare als alleiniger Autor gelten könne. Aber überlebt hat das Stück gleich zweifach als Opernvorlage. Mit Verdis „Falstaff“ zeigte Christoph Marthaler bei den Salzburger Festspielen gerade eine Version, in der der Titelheld zugleich Orson Welles auf einem Filmset ist. Blieb mit dieser Regieidee trotzdem schwierig.
Im Kletterwald Schorfheide, am Rande eines ausgedehnten Waldgebiets, gelten freilich die Maßstäbe eines unbeschwerten Volkstheaters und Sommerspaßes. Seit 2017 inszeniert Bading, der von Anfang an zum Ensemble von Thomas Ostermeier gehört, hier jeden Sommer einen Shakespeare im Park befindlichen Kletterwald, wo man von hohen Plateaus in verschiedenen Schwierigkeitsgraden sich waghalsig von Baum zu Baum hangeln kann. Das Waldambiente bietet Naturtheater und gleichsam Minibühnen auf unterschiedlichen Ebenen – an den mächtigen Kiefern für die beiden von Falstaff umworbenen Damen Flut und Page, während Bading als Spielmeister, Erzähler und scheiternder Schürzenjäger dazwischen in einer Art Regiesessel am Boden thront. Gesprochen wird mit Kopfmikros, Akustik kein Problem. Die Herausforderung bestand für den Regisseur darin, aus dem Stück mit 21 Figuren und einigen eher nebensächlichen Szenen ein Destillat für vier Spieler:innen und eine Stunde Waldtheater herauszuholen. Das heißt, Bading musste dabei einigermaßen skrupellos und zugleich geschickt vorgehen.
Statt drei Dienern von Falstaff gibt es hier nur eine Dienerin, Bardolphine, die sich – nach ihrer Entlassung – ganz Shakespeare-mäßig in einen Mann mit Hut und Schnurrbart verwandeln muss, um den Plot als Herr Bach voranzutreiben. Marie Bauers Spielwitz hilft diesen Figuren auf die Sprünge, während ihre Kolleginnen vor allem das musikalische Fach zusätzlich bedienen. Maria Thomaschke begleitet sich – hoch oben am Baum – auf einem E-Klavier. Kurt Weills „I am stranger here myself“ als Einstieg, zum Ende dann die Verabschiedung Falstaffs mit „Goodbye Johnny“ zusammen mit Katrin Schwingel als Frau Flut, die sich einmal auch am Kletterseil von ihrem Plateau dem vermeintlichen Liebhaber entgegenstreckt. Die Sache funktioniert vor allem deshalb gut, weil der prahlerische Falstaff hier als Spielmeister seine eigene kleine Theaterinszenierung riskiert und das Publikum mit allerlei Wortverdrehungen und lässig hingeworfenen Beiseitebemerkungen unterhält.
Erschienen am 29.8.2023