Das Schiff, eine Kaserne
von Matthias Däumer
Erschienen in: Recherchen 127: Darstellende Künste im öffentlichen Raum – Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen (12/2017)
Assoziationen: Das letzte Kleinod
I
Das Publikum sitzt auf einer Tribüne gegenüber der Fassade eines seit rund 15 Jahren leerstehenden Kasernengebäudes, im Rücken der Hof, umgeben von weiteren wuchtigen Militärbauten. Das aufwendige Programmheft informiert darüber, dass man es im Folgenden mit einer Performance zu tun habe, deren Text auf von Jens-Erwin Siemssen über Jahre gesammelten Interviews mit Zeitzeugen der Exodus-Irrfahrt beruht, jener Odyssee, auf der 4500 Shoah-Überlebende im August 1947 von Marseille aus versuchten, mit dem Schiff nach Palästina zu gelangen, um sich eine neue Heimat aufzubauen. Vergebens, denn das Schiff der Maapilim (also der Flüchtlinge, die versuchten, vor der Staatsgründung Israels nach Palästina einzuwandern) wurde vor der Küste Palästinas von britischen Truppen gekapert. Die Briten versuchten unter UN-Mandat (und mit der Rigorosität eines ehemaligen Imperiums) die Palästina-Situation mit einer Einwanderungsquote zu entschärfen. Rigoros trieben sie die heimatlosen jüdischen Flüchtlinge über Frankreich in das Land der Täter zurück und internierten sie in der britischen Besatzungszone – teilweise in eben jener Emder Kaserne, die nun bespielt wird. Der Exodus-Stoff ist der bedeutendste Gründungsmythos Israels. Für eine Annäherung war es deshalb auch wichtig, dass die Gruppe in der Nähe des Hafens von Haifa, in Atlit proben konnte, wo es Begegnungen mit Zeitzeugen und bereits vor der...