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Historische Tiefenbohrungen
Zum Tod des Leipziger Theaterwissenschaftlers Manfred Pauli
Erschienen in: Theater der Zeit: Berliner Theatertreffen: Unendliches Spiel – Der Schauspieler André Jung (05/2019)
Am 20. Februar verstarb in Leipzig Manfred Pauli in seinem 86. Lebensjahr. In der gärenden, überaus kreativen Leipziger Atmosphäre der frühen fünfziger Jahre studierte er – unter anderen gemeinsam mit Uwe Johnson – als Schüler Hans Mayers Germanistik und Theaterwissenschaft. Hier fand er zu seiner lebenslangen bewundernden Liebe zu Brecht, den er bei einem Praktikum am Berliner Ensemble noch selbst kennenlernen konnte. Nach dem Studium arbeitete er bis 1966 als Dramaturg in Zwickau und Erfurt, in beiden Häusern zuletzt als Chefdramaturg. Er fand seine eigentliche Bestimmung als erfolgreicher Dozent an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig, später am neu gegründeten Institut für Theaterwissenschaft der Leipziger Universität. Seine Vorlesungen und Seminare waren historische Tiefenbohrungen, und die Studierenden schätzten seine menschliche Art und Ansprache. Als Buchautor ist er unter anderem Verfasser eines umfänglichen Standardwerks über das dramatische Werk von Sean O’Casey, von Büchern über Begriff und Geschichte des Volkstheaters (das Thema seiner Habilitationsschrift), über Leipziger Theatergeschichte sowie über Stücke, die – wie etwa der „Sommernachtstraum“ oder die Werke Pirandellos – das Theaterspiel selbstreferenziell thematisieren. Da die letztgenannten, wichtigen Bücher in kleinen Verlagen erschienen sind, die unterhalb der Schwelle der kapitalistischen Aufmerksamkeitsökonomie liegen, sind sie leider weniger beachtet worden, als sie es verdient...