Theater der Zeit

III Beckett / Kein dramatisches Vakuum ohne Chor

Spiele mit Zuschauern

von Ulrike Haß

Erschienen in: Kraftfeld Chor – Aischylos Sophokles Kleist Beckett Jelinek (01/2021)

Assoziationen: Theatergeschichte

Honoré Daumier, Monsieur Gogo et les nouvellistes de la Bourse, 1838
Honoré Daumier, Monsieur Gogo et les nouvellistes de la Bourse, 1838Foto: Privatsammlung

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Mit Beckett geht es um die Zeit nach 1945, wobei ich mich nur auf das, insbesondere von den Deutschen der Nachkriegszeit zwangs umarmte Stück Warten auf Godot stütze. Wladimir und Estragon bilden die Minimalversion eines Chors (mehr als einer) und werden als Chorfiguren gelesen, die sich von der erschöpften Figur des Protagonisten, der Arbeit und des Dienstes ums Ganze unterscheiden. Sie stehen am Beginn einer endlosen Serie anderer, nicht-familiärer, nicht-genealogischer Beziehungsweisen, die abermals als Chor zu beschreiben sind: Neither. Die Chiffre ‚nach 45‘ tritt dabei in Kontakt mit unserer Gegenwart. Zudem erben wir von Beckett her das Thema des Minoritären.

Am 5. Januar 1953 hat En attendant Godot in der Regie von Roger Blin Premiere im Pariser Théâtre de Babylone. Die mit sehr unterschiedlichen Reaktionen aufgenommene Aufführung erlangt durch eine Besprechung von Jean Anouilh in der Revue Arts besondere Aufmerksamkeit, die zu 153 weiteren Aufführungen führt und dem kleinen Théâtre de Babylone einen internationalen Erfolg beschert. In der BRD wird die Übersetzung im Suhrkamp Verlag durch Elmar Tophoven vorbereitet. Die deutsche Premiere findet am 8. September 1953 im Schloßpark-Theater unter dem Produktionstitel Wir warten auf Godot in der Regie von Karl-Heinz Stroux statt. Beckett wohnt der Premiere bei und ist überrascht über die enthusiastische Aufnahme beim Publikum, fand er doch, dass das Stück „schlecht gespielt und vor allem schlecht inszeniert“209 war. Die Presse zu dieser Aufführung gebiert zwei Marker, die auf Jahre hinweg in allen Rezensionen wiederkehren sollen: Es drehe sich hier um ein Stück ‚ohne Handlung‘, und es ginge um zwei als ‚Landstreicher verkleidete Existenzialisten‘. In der Spielzeit 1953/54 wird Godot noch von 15 weiteren Theatern aufgeführt und sollte sich in den Folgejahren zum Gegenstand einer wahren Beckett-Mania entwickeln. „Die Deutschen“, so wird 1954 die London Times zitiert, „überschätzen die philosophischen Ingredienzien dieser Clownsstudie. Godot mit seinen hoffnungslosen Hoffnungen und bedeutungslosen Bedeutungen ist genau das, worauf die Deutschen eine Antwort erwarten“210.

Godot in der BRD und Westberlin

Die überragenden Erfolge, die Samuel Becketts Drama Warten auf Godot in der Bundesrepublik und Westberlin in den 1950er und 1960er Jahren feiert, sind auf einzigartige Weise mit der Signatur einer epochalen Verdrängung der Nazi-Verbrechen im Deutschland der Nachkriegszeit verknüpft. In einem Nachkriegsdeutschland, das zur Arbeit am Wiederaufbau übergegangen war, wird Godot mit einer Erschütterung aufgenommen, die sich in schier unendlich vielen Kommentaren kundtut. Entsprechend avanciert „Wartest Du auf Godot?“ rasch zu einem populären Bonmot.211 Godot wird als mustergültige Parabel vom sinnlosen Menschen in einer absurden, sinnlosen Welt gehandelt. Mit ihren grauen Gestalten im fahlen Licht geraten die Inszenierungen der 1950er und 1960er Jahre zum „Ausdruck eines spröden Nachkriegsminimalismus“ par excellence, der schon im Moment seiner Entstehung „zur fixen Konvention erstarrt“212 war. Diese Erstarrung beruht auf einer gespenstischen Affirmation. Von diesem Stück will man sich erschüttern lassen, während man die millionenfache Ermordung derer, die das Hitler-Regime als undeutsch gebrandmarkt hatte, mit Schweigen zu übergehen trachtet. Als vermeintlich Unbeteiligte „trug die Erde sie weiter, diese zahllosen Jubler, die sich von der Beutegier hatten verführen lassen, die da bereit gewesen waren, den anderen ihren Platz wegzunehmen“213, wie Alexander Mitscherlich schreibt. In einer Ausweichbewegung fokussiert sich die deutsche Nachkriegsöffentlichkeit lieber auf das Kapitel des Kriegs mit seinen Entbehrungen, Schrecken und Verlusten. Moralisten wie Wolfgang Borchert (Draußen vor der Tür) gefallen sich darin, jeglichen metaphysischen Grund zu verwerfen. Gut antifundamentalistisch lassen sich Einsichten in die Grundlosigkeit menschlicher Existenz durchaus steigern: Aus der Abwesenheit eines letzten Grundes wird die Abwesenheit aller Gründe und aus der Kontingenzerfahrung, gut nihilistisch, die vollständige Sinnlosigkeit. Doch ein solches Bad in der Sinnlosigkeit, das die Jüngeren und, bis auf wenige Ausnahmen, auch große Teile der Intellektuellen- und Theatermilieus zelebrieren, lässt den verworfenen Grund als solchen unangetastet. Ein modisch überhöhter Existenzialismus ist fähig, sich wahlweise mit fantastischen Postulaten von endloser Freiheit oder unbegrenzten Möglichkeiten zu paaren. Unterdessen bekämpft die Mehrheit jener Generationen, die ihren Anteil am Einverständnis mit dem Nationalsozialismus nicht wahrhaben will, ihren uneingestandenen Albtraum mit der Arbeit am Wiederaufbau.214 Ein triviales öffentliches Bewusstsein gedenkt, mit dem in Friedenszeiten Erreichten auch, „zu unserer teuren Metaphysik zurückkehren“ zu können, wie es Pierre Temkine formuliert.215

Nachkriegsexistenzialismus und Wiederaufbau bilden zusammen einen Zug, der in diesem Fall einen anderen verdeckt. Es macht etwas, nichts zu sagen. In der fortgesetzten Auslassung der Konfrontation nistet eine bleierne Wortlosigkeit und breitet sich aus. In den ersten Dekaden der Nachkriegszeit bewirkt sie eine Versteinerung gesellschaftlicher Verhältnisse und deren „bleierne Zeit“216. Eine derartige Erstarrung legt sich auch über das Stück Godot, das für die längste Zeit nicht aus den Fängen seiner quasi-metaphysischen, existenzialistischen Interpretationen zu lösen ist. Dabei fehlt es nicht an Einwänden von Gewicht. So versieht Günther Anders seinen Essay zu Godot 1954 mit einer Vorbemerkung zum metaphysischen Geraune jener „negativen Aufklärer“, die „in jedem Stück bedeutender Literatur Religion zu entdecken“ meinen, und hofft, derlei „schiefen Interpretationen rechtzeitig einen Riegel vorschieben“217 zu können. Ende der 1950er Jahre nimmt Theodor W. Adorno seine Auseinandersetzungen mit Beckett auf, die insgesamt Einspruch „gegen den Trug der Frage nach dem Sinn“218 erheben. Susan Sontag streitet in den frühen 1960er Jahren gegen jegliche, ein jedes Kunstwerk mortifizierende Interpretation.219 Dennoch fabuliert der Theaterkritiker Georg Hensel 1981 so, als sei seit der ersten Godot-Premieren nichts geschehen: „Der fünfundsiebzig Jahre alte Beckett hat seine unfrohe Botschaft abermals verkündet.“220 1981 setzt Hensel noch eins drauf, indem er Beckett zum runden Geburtstag unter der Überschrift „Heiland der Heillosen“221 gratuliert. Doch nicht die Geschichte der Leser, Zuschauer und Hörer Becketts ist heillos, sondern die Geschichte seiner Interpretationen, die von einer schlechthinnigen Heillosigkeit in Deutschland ihren Ausgang nahm. Genau auf diesen Zusammenhang weist Heiner Müller in einem Gespräch hin:

„Zuerst ist Beckett in Deutschland rezipiert worden, jedenfalls wesentlich. Und da ist er mystifiziert worden. Erst seitdem er selbst in Deutschland inszeniert hat, weiß man, dass seine Stücke Clownsspiele sind. Wenn man sich die Ausgangssituation von Warten auf Godot überlegt: da gehen zwei Leute auf die Bühne, die sich nichts zu sagen haben. Da unten sitzen aber Leute, die dafür bezahlt haben, dass sie etwas hören. Ich finde, das ist sehr radikal und provozierend. Wenn man ein Stück von Beckett wirklich intensiv ansieht, dann kann man eigentlich nur noch den Schluss ziehen, dass man am nächsten Tag in die Kommunistische Partei eintreten muss. Das ist ein sehr produktives Stück.“222

In den 1950er und 1960er Jahren trifft Godot in der BRD und Westberlin auf ein gesellschaftliches Klima, in dem sich eine Reihe von Faktoren akkumulieren: Zunächst die personelle Kontinuität von Aktivisten und Mitläufern des Nationalsozialismus in allen gesellschaftlich relevanten Positionen. Dazu kommt eine ideologische Kontinuität, die auf Reizwörter des Nationalsozialismus verzichtet, aber an die ideologischen Bestände der Weimarer Republik unverdrossen anknüpft. Befördert wird dies durch einen aggressiven Antikommunismus, der im sprichwörtlichen „Geh doch nach drüben!“ alltäglich gelebt wird. Die Zeitdiagnostik liegt im Zeichen eines gefühlten Existenzialismus darnieder: Man lebt nicht nach 1945, sondern in einer allgemein gottverlassenen Welt. Der Gegenwartsbezug erschöpft sich im Wiederaufbau und in der Konsolidierung von Lebensverhältnissen, die fließend in eine Gesellschaft übergehen, für die der Wohlstand das einzig Erstrebenswerte darstellt. Zudem beruht die demonstrative Bereitschaft zum Konsum auf einer Verkehrung des Opferdiskurses. Die „bösen Jahre“223 werden ins Schicksalhafte überhöht und mit einer Selbststilisierung als Opfer verknüpft. Restaurationsgewinnler stellen sich als Opfer Hitlers und des Kriegs dar, die sich nun endlich ‚auch etwas gönnen dürfen‘. Aus der Verkettung dieser Faktoren entsteht neuerlich die fatale Erbschaft dieser Zeit.

Diese Erbschaft etabliert sich wesentlich über die Einhegung des Nationalsozialismus auf Systemdaten und über die Weiterwirkung von mental-weltanschaulichen Beständen, mit denen vor 1933 die Entwurzelung des Individuums in der Moderne beklagt und das Heil in einer Versöhnung mit den Kräften des Beständigen und Bestehenden gesucht worden war. Der Begriff des Völkischen wird nach 1945 nicht mehr verwendet. Aber die in diesem Begriff ehedem kulminierende Gemengelage wirkt weiterhin als quasi-instinktiver Antrieb, um einer nicht begriffenen Realität in der Gegenwart zu entfliehen und für pure Meinung zu halten, was die Nazidoktrin an unentrinnbaren Fakten geschaffen hatte. In ihrem Report from Germany konstatiert Hannah Arendt 1950 als den erschreckendsten Aspekt deutscher Flucht aus der Nachkriegsrealität die Angewohnheit, Fakten als pure Meinungen zu behandeln. Fakten würden mit einer nihilistischen Relativität belegt und könnten, wie Meinungen, heute richtig und morgen falsch sein. Darüber hinaus seien die Meinungen in ihrer Irrelevanz als solche erkennbar, die vor 1933 geformt wurden. Die Leute redeten und verhielten sich oberflächlich so, als sei seit 1932 absolut nichts geschehen. Die wenigen nach 1945 publizierten Bücher von Gewicht seien vor zwanzig oder 25 Jahren verfasst worden. Vor allem die jüngeren Generationen der Zwanzig- bis Dreißigjährigen erscheinen Arendt wie „versteinert, unartikuliert und unfähig zu tragfähigen Gedanken“.224 Hans Magnus Enzensberger sieht die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft durch einen ‚Antifaschismus‘ geprägt, der sich mit einem ‚Hang zu höherer Kultur’ ausstattet und damit begnügt, einen besseren Geschmack als die Nazis zu haben.225 Gleichzeitig wächst in den 1950er und 1960er Jahren das Ideal einer unpolitischen Machbarkeit und Objektivität heran, das den Glauben nährt, in naher Zukunft den Krebs zu besiegen oder den Mond besiedeln zu können.

Godot war in dieser Versteinerung von Jahrhundertgewicht vollkommen verloren. Doch andersherum kommunizierte das Stück auch mit dieser Versteinerung. Wie kein anderes zog es etwas darin Versiegeltes in Form einer geradezu zwanghaften Umarmung auf sich. Godot handelte nicht ‚von‘, sondern ‚mit‘ dem, was die Leute, die nichts gewusst haben wollen, im tiefsten Gestrüpp deutscher Innerlichkeit versenken wollten. Godot handelte mit ihrem Nichtwissen, das nur eine andere (latente) Art des Wissens darstellt.

Vier spielen zwei

Die Wahrnehmung von Godot wird durch die Ebene von Wladimir und Estragon geprägt. Schon Günther Anders, der für Pozzo und Lucky erstmals die Hegelsche Herr-Knecht-Thematik geltend macht, widmet diesem Paar kaum ein Siebtel seines Essays, Wladimir und Estragon hingegen den ganzen Rest. Bei den meisten anderen Autoren schlägt das Pendel der Aufmerksamkeiten in ähnlicher Richtung aus. Die schier unendlichen Kommentare sowie das sprichwörtliche Nachleben des Stücktitels beziehen sich ohnehin nur auf diese beiden, die da zuerst auf der Bühne sind und warten: ‚da gehen zwei Leute auf die Bühne‘ … Wer sind die beiden? Alle Vorschläge ergehen im unbestimmten Plural: Vaganten, Penner, Landstreicher, Verlorene, Fremde, Kreaturen, Selbstmordkandidaten. Aus „dem Weltplan (das heißt dem Schema der bürgerlichen Gesellschaft) herausgefallene Wesen“226, mutmaßt Anders. Pierre Temkine liest Godot als „Stück über zwei Juden auf der Flucht“227 und bindet es in seiner ‚historischen Relektüre‘ an konkrete geschichtliche Topografien. Die Bezeichnung von Wladimir und Estragon als Vaganten hingegen bezieht sich auf eine artistische Sphäre. Als Clowns wiederum geben die beiden Figuren ein vermeintlich bekanntes und definierbares, wechselspielendes Duo ab. In ihrer Vieldeutigkeit und Unbestimmbarkeit wirken sie wie eine offene Frage. Sie wird entschieden konterkariert durch Pozzo und Lucky, die ihrerseits als allzu Bekannte auftreten. Die Szene von Pozzo und Lucky markiert einen „Einbruch“, wie schon Anders anmerkte. Eine dramaturgische Anmerkung Heiner Müllers verdeutlicht drastisch, aus welchem Abstand dieser Einbruch sich nährt.

„Beckett ist eher der Pillenknick in der Dramatik. Das ist wirklich das Problem mit Beckett. Die Pozzo-Lucky-Szene in Godot zum Beispiel, der Herr und der Knecht, das ist in nuce der ganze Brecht. Und Brecht hat sich abgearbeitet, jahrzehntelang, um aus dieser Szene acht bis zwölf Stücke zu machen. Das ist das beängstigende Problem mit Beckett.“228

Pozzo mag sich als Grundbesitzer der Gegend vorstellen, aber in der Godot-Welt von Wladimir und Estragon bilden er und Lucky einen Fremdkörper, wie er fremder kaum sein könnte. Während das Duo der beiden, die zuerst da sind, aufgrund einer gezielten Unterbestimmung rätselhaft bleibt, tritt das Paar Pozzo und Lucky geradezu überbestimmt auf und birst vor Gemeinplätzen. Sie bilden ein nach allen Regeln der Dialektik gefügtes Paar und erklären sich auch sofort als ein solches. Sie zelebrieren das Dilemma ihrer wechselseitigen Anerkennung, sie parodieren ihre Abhängigkeit voneinander, sie führen genussvoll die Inversion ihrer Positionen als Herr und Knecht vor. Sie schauspielern und deklamieren. Sie imitieren die Gestik eines großen Diktators oder die Diskurse machthöriger Pseudowissenschaftler. Sie wissen, dass sie Vorbilder haben. Ihre geschwollenen oder delirierenden Reden sind voller politischer Anspielungen. Sie persiflieren das Drama der Selbstverwirklichung des modernen Subjekts, seine Aufrüstung und Selbstenthemmung im Namen von Identität. Sie zelebrieren den Niedergang der Geschichtsteleologie und es scheint, als betrachteten sie aus diesem Grund das Niedersinken der Nacht in einem Abendland. Sie lassen in Bezug auf das Band von Despotismus und Barbarei nichts aus und wissen offenkundig alles über Herr und Knecht in Zeiten von Faschismus und Monopolkapitalismus: „Jedem das Seine“ (38) zitiert Pozzo den Spruch, der über dem Tor zum sogenannten Konzentrationslager Buchenwald stand, der aber auch das offene Betriebsgeheimnis des Paars von Herr und Knecht benennt: „Bedenken Sie, daß ich in seiner Haut stecken könnte und er in meiner.“ (38)

Die Pozzo-Lucky-Szene wirkt wie hineingeschnitten in die Godot-Welt dieser beiden Leute, die zuerst da sind. Gibt es außerhalb dieses Schnitts überhaupt eine Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen? Die Frage ist offen, obwohl es auf einer abstrakten und diskreten Ebene Beziehungen gibt, etwa wenn Pozzo als Exemplar des Herrenmenschen ins Allgemeine ausgreift und erklärt, dass er nicht über ein spezielles Wesen gebiete, sondern über ein Exemplar der Knecht-Gattung, die so zahlreich sei, dass an dieser Stelle nie ein Mangel entstehe. „Als ob ich Mangel an Knechten hätte“ (37), sagt Pozzo, „Das Beste wär, sie einfach zu töten.“ (38) Darauf antwortet eine wortwörtliche Replik von Estragon im zweiten Akt: „Das Beste wäre, mich einfach zu töten, wie den anderen.“ W: „Welchen anderen? Pause. Welchen anderen?“ Estragon antwortet mit einer markanten Verschiebung vom Singular in den Plural einer (Knecht-) Gattung: „Wie Millionen andere.“ (75)

Die damit angedeutete Parallele der Figuren von Lucky und Estragon drückt sich in einer affektiven, sprachlosen Nähe aus, die sich das ganze Stück über in Tritten, Bissen und Prügeln entlädt. Eine entsprechende, andere Parallele lässt sich für Wladimir und Lucky feststellen. Wladimir findet Lucky „nicht übel“ (30) und hat Mitleid mit seiner Lage. Er empört sich „laut aufschreiend“ (32) über dessen unmenschliche Behandlung und nimmt gegen Pozzo, ebenfalls das ganze Stück über, einen Kampf auf, dessen modale Qualitäten mit den Worten angezeigt werden: „entschlossen und stammelnd“ (32).

Wenn Lucky als der bedingungslose Knecht auftritt, der seinen Platz im Schema des Herrn absolut verteidigt und wenn Estragon und Wladimir mit ihm (konkurrierend oder für ihn kämpfend) verbunden sind, so kommen sie gewissermaßen ‚nach‘ Lucky: „Sie haben ihn sozusagen abgelöst“ (39), sagt Pozzo zu Estragon. Diese Ablösung in Sachen Dienerschaft beim Wort nehmend, können Wladimir und Estragon als Diener ohne Herrn gelten. Sie bilden damit genau – zumal sie zweifellos auch Komödianten sind – die Inversion einer Figur, die den Titel der berühmtesten Komödie Goldonis abgibt. Sie sind nicht Diener zweier Herren, sondern zwei Diener ohne Herrn.

Gemessen an dem überdeterminierten Paar Pozzo und Lucky, das sich als Einheit aus Zweien geriert, die einander entgegengesetzt sind und nicht voneinander lassen können, kommt für Wladimir und Estragon am ehesten der Begriff des Duals in Frage, der kein Ganzes mit Teilen, sondern ein Zwitterwesen von unbestimmter Paarigkeit bezeichnet. Die grammatische Form des Duals (gr. ampho, lat. ambro), wie sie noch in ‚beide‘, ‚wir beide‘ oder ‚die beiden‘ vorliegt, ist in den modernen westlichen Sprachen weitgehend verloren gegangen. Gestalttheoretisch bildet der Dual die Grundlage für eine spätere Differenzierung in homogene, separate Zahlen und das reihentheoretische Zahlensystem. Der Dual bezeichnet also unter anderem auch den Beginn einer Serie, die sich nicht in getrennte Elemente separieren lässt und auch nicht als ein Ganzes mit internen Unterteilungen beschrieben werden kann.229 Bei einem Zerfall des Duals kommt die Zahl Zwei zustande. Bei dem Zerfall einer Serie hören Zahlen auf, sich zählen zu können. Es bleiben dann einfach nur Passanten über, beliebig vorbeilaufende Nummern. Das Paar also als Einheit aus Zweien und der Dual als Beginn einer Serie: Was sagt die Unterschiedlichkeit dieser beiden Zweierkonstellationen darüber hinaus aus? Welche Räume werden mit ihnen verbunden?

Räume in Godot

Texte, die in die Sichtbarkeit und Hörbarkeit hervortreten, involvieren Körper und Räume, die keine Gegebenheiten sind. Mit dieser Ausgangslage sind räumliche Entwürfe im Theater befasst, die den Verwicklungen von Körpern und Räumen, ihrer Verräumlichung, Raum geben müssen. Doch wie beginnen? Lässt sich aus Namen und Orten, die in Godot genannt werden und die hier zur französischen Résistance gehören, ein Raum generieren? Temkine, der Godot einer strengen Rehistorisierung unterzieht und so den „Riegel“ metaphysischer Sinnfabrikation „knacken“ will, ist dieser Meinung. Doch seine Lektüre verbleibt damit im Bereich der bloßen Interpretation eines immer schon aufgetretenen Textes, der in diesem Fall von Temkine mit einer Fabel von schier unerträglicher Geschlossenheit umgeben und auf diese Weise erledigt wird.230 Gehen wir zu anderen Räumen über.

Üblicherweise wird die Ortsangabe zu Beginn mit einem szenischen Raum gleichgesetzt, in dem etwas auftritt. In diesem Fall scheint mit der berühmten Notiz Landstraße klar, dass Godot einen Außenraum entwirft. Diese Annahme wird jedoch sofort brüchig, wenn wir die ausführlich notierten Bewegungen in diesem ‚Außenraum‘ betrachten, die unmissverständlich in einem Innenraumtheater spielen: Die Landstraße wird in plakativer Weise durch Kulissen begrenzt. Wenn Estragon in derselben Szene einmal bis „zum Rand des Abhangs“ (89) geht und kurz darauf in derselben Richtung gegen den Prospekt im Hintergrund läuft und hinfällt – „Idiot, da ist kein Ausgang!“ (89) –, dann ist damit die Annahme der Repräsentation eines Außenraums in einem Theaterinnenraum versperrt. Wird dieses Amalgam von Ortsangaben und Innenraumtheater ohne Ausgang jedoch ernstgenommen, ist nur der Schluss möglich, dass in Godot keine Raumdarstellung vorliegt, das heißt, keine Darstellung von einem Raum, der auf einen anderen verweist. Demnach bildet die dreistellige Angabe „Landstraße. Ein Baum. Abend.“ keine Anweisung zur Einrichtung einer Bühne.

Als Topos bezeichnet Landstraße zunächst nur eine flache Ausdehnung, die dazu bestimmt und geeignet ist, Verkehr, der kommt und geht, aufzunehmen. In seiner horizontalen Ausdehnung hat der Topos Landstraße kein bildhaftes Äquivalent auf der Bühne, sondern kommt mit der res extensa der Bühne vollständig überein. Das unterscheidet ihn vom Begriff „Plateau“, der sich im zweiten Akt durch eine wortspielende Verschiebung in ein Synonym für den kulissenbewehrten Guckkasten („Präsentierteller“, 89) eines Innenraumtheaters verwandeln lässt.231 Hinsichtlich ihrer topischen Eigenschaften hadert die Landstraße als Begriff für die Bühne vor allem mit einem möglichen Bild der Bühne und geht hierin deutlich weiter als der Begriff „Plateau“. Die nächste Angabe Ein Baum führt nun mit diesem, in unserer Vorstellung stets aufragenden Ding des Baums eine Vertikale ein, welche in neuzeitlichen Zusammenhängen seit je zum Sehen da ist. Doch die Frage des Sehens und die des Bildes sind zweierlei. Zunächst einmal ist dieser Baum in Godot kein Mitspieler: Er ist zu klein, zu schwach, zu dünn, zu kurz, um sich daran aufzuhängen oder sich hinter ihm zu verstecken. Er markiert lediglich einen sichtbaren Punkt in der Fläche, eine Stelle, an der man sich verabreden kann: „Alles fließt“, sagt Estragon. Daraufhin Wladimir: „Schau dir den Baum mal an“232. Dennoch hängt sich an diesem Baum die Frage des Bildes der Bühne auf, die für lange Zeit derartig eng mit der von Alberto Giacometti 1961 für die Godot-Inszenierung von Roger Blin im Théâtre Odéon hergestellten Minimalversion eines Baums verschmolzen war, dass sie sich als Frage überhaupt nicht mehr zu stellen schien. Es folgt die dritte Angabe Abend, die wiederum völlig unabhängig davon ist, ob es eine bild- oder zeichenhafte Wiederholung dieser Angabe („Mond“) auf der Bühne gibt oder nicht.

Liest man die Auftrittsangabe nun als dreistellige Struktur, so ergeben sich: eine Stelle für den Begriff der Bühne als Spielfläche in ihrer horizontalen Ausdehnung, eine zweite Stelle für die Vertikale des Sehens und eine dritte Stelle, die eine dehnbare Zeitangabe liefert. Diese kann immanent oder explizit mitspielen: als Zeit, die im Theater szenisch angespielt wird, oder als Zeit des Theaters, die mehrdeutig ist. Insgesamt gibt diese Auftrittsangabe jedoch weder ein räumliches Äquivalent heraus noch ein ‚Bild‘ der Bühne. Wenn man von dem Kurzschluss absieht, die Darstellung eines Baums dafür zu halten, ist die Frage des Bildes sogar vollständig offen. Sie wird, bei genauerem Hinsehen, durch die Angabe Ein Baum darüber hinaus obsolet.

Im Gegensatz zu den Angaben Landstraße und Abend gibt es im Fall von Ein Baum den unbestimmten Artikel, der sich in der Giacometti-Version dieses Baums in dem winzigen Blatt, das ihm angefügt ist, noch einmal wiederholt: ein Blatt. Der Theaterwissenschaftler und Regisseur Jean Jourdheuil berichtet, dass Beckett im März 1961 Giacometti gebeten habe, „das Bühnenbild für Godot zu gestalten, und Giacometti soll sofort angenommen haben. Es hätten mehrere Arbeitssitzungen in seinem Atelier stattgefunden.“233 Ein Foto von 1961 zeigt Beckett, Giacometti, Roger Blin und Jean-Marie Serreau, den Leiter des Théâtre de Babylone, bei einer Besprechung im Odéon. Ist es möglich, dass Giacometti nur den Baum, also eine Skulptur gemacht hat und sich nicht mit der Frage des Theaterraums befasst hat? „Man weiß es nicht“, resümiert Jourdheuil. Zur szenischen Auffassung Roger Blins merkt Jourdheuil an, dass ihm alles Figurative und Dekorative zuwider war. Die Inszenierung sollte das Stück nicht verdecken, das Bühnenbild sollte sich nicht einmischen: „Blin wollte die radikale, die nicht-realistische Fremdheit dieser Werke zeigen; er wollte, dass man dem Text Gehör schenkt.“234 Was ist also mit diesem Baum, von dem Blin offensichtlich nicht wollte, dass er sich einmischt, während Giacometti, der bei einem Durchlauf zugegen gewesen sei, „nach dem ersten Akt gegangen [sei] mit dem Kommentar, er könne den Baum nicht ertragen“235.

Halten wir uns an diesen Bastard in der vierten Person Singular: Ein Baum. Eingedenk dessen, dass Beckett ausdrücklich Giacometti gefragt hat, und eingedenk der zum Teil winzigen, schwindenden Figuren Giacomettis, verwandelt sich die ‚Bild‘-Frage eher in eine Frage des Sehens. Auf die „Alles fließt“-Paraphrase von Estragon insistiert Wladimir nachdrücklich darauf, den Baum anzuschauen: „Den Baum, hab ich gesagt, schau dir den Baum an!“ Estragon schaut den Baum an. E: „Stand der gestern nicht da?“236 Offenbar bildet der Baum selbst ein fließendes Objekt. Kein Blickfang, eher ein Etwas, das leicht zu übersehen ist, das sich zurückzieht oder zurückweicht. Vielleicht handelt es sich auch um ein verlassenes Objekt oder um ein Objekt an einem verlassenen Ufer. Berührt wird die Sphäre eines unterschwelligen, nicht wiedererkennenden Sehens: „Mal sehen.“ (78)

Nehmen wir das Indiz des unbestimmten Artikels hinzu und konstatieren, dass das Ein stets etwas Beliebiges und zugleich Singuläres anzeigt. Ein Baum ist so wenig spezifiziert, dass es im Stück dazu zahlreiche Mutmaßungen gibt: Es handele sich fast um einen Strauch, nein, doch eher um einen Baum, eine Trauerweide vielleicht usw. „Das Ein ist stets das Indiz einer Mannigfaltigkeit“, wie Gilles Deleuze schreibt, „ein Ereignis, eine Singularität, ein Leben“237. Zweifellos handelt es sich auch bei diesem Baum um ein unbestimmtes Leben. Er hat ein Blatt, im zweiten Akt „einige Blätter“ (68). Kurz darauf schaut Wladimir den Baum an: gestern „noch schwarz und kahl wie ein Skelett“, heute „ist er voller Blätter“ (79). Eine quasi-naturalistische Interpretation dieser Angabe wird durch Wladimir und Estragon selbst ausgeschlossen. Frühling? W: „Aber in einer einzigen Nacht?“ E: „Wieder so ein Alptraum von dir.“238 Ein Baum kann als das beliebige Exemplar einer Gattung gelten, das von einem Leben der Spezies durchlaufen wird. Ein Exemplar lässt sich nicht als solches herauslösen. (Die Serie zerfällt.) Ein Baum lässt sich nicht identifizieren, sondern erscheint als dieses und jenes, das sich nicht festmachen lässt. Damit verbunden sind die Schwierigkeiten, ihn überhaupt anzusehen. W: „Ah! Der Baum!“ E: „Der Baum?“ W: „Erinnerst du dich nicht?“ E: „Ich bin müde.“ W: „Schau ihn dir an.“ Estragon schaut den Baum an. E: „Ich sehe nichts.“ (79) Mal sehen heißt das Spiel, das Wladimir und Estragon hier spielen. Es richtete sich auf das Dasein und das Nichts gleichzeitig. Das beiläufige „Mal“ schiebt sich an die Stelle von Daseinsfeststellungen. Es hantiert nicht mit dem „ist“ und seiner Ausschlusslogik und es kommt zu keinem Ende. E: „Es fehlt ja nicht an leerem Raum.“ (79) Der unbestimmte Artikel ein, der den Baum hier so schlichtweg unfasslich werden lässt, korrespondiert in auffälliger Weise mit dem Moment Luckys, der im Stück eine Rede hat. Auch in Luckys Rede berühren sich das Einzige (ihres Auftritts) und das Mannigfaltige, das sich in seiner Rede auch in ihren schier berstenden, punktionslosen Konjunktionen ausdrückt. Der unbestimmte Artikel ein kann als Ausweis und Unterpfand einer Sphäre der chorischen Verflechtungen gelten. Ihnen entspricht in der Godot-Welt ein beiläufiges Sehen, dessen Verankerung in der Gegenwart minimal ist und in keinem Fall ein Bild ergibt. Und der Raum? Offensichtlich gilt hier weiterhin ein Wort Giacomettis: „Der Raum existiert nicht, man muss ihn erschaffen, aber er existiert nicht, nein!“239

Verräumlichen

Doch wie einen Raum erschaffen für Godot? In der Regel versuchte man sich an die Figuren zu halten in der Annahme, dass sie den Raum herausgeben würden, ähnlich wie bei Shakespeare die Marktfrau den Markt herausgibt oder der Totengräber den Friedhof. Doch dieses Verfahren hilft in Bezug auf Godot nicht weiter. Gleichgültig, ob man sich Wladimir und Estragon als Arbeitslose, Landstreicher oder Fremde vorstellte – sie ließen sich einfach nicht sozialisieren und wollten partout kein Milieu und kein Genre herausgeben. „Wladimir hat nie die Hände in den Hosentaschen“, gibt Horst Bollmann eine entsprechende Korrektur Becketts bei den Proben zur Godot-Aufführung 1975 in Berlin wieder.240 Ohne Milieu- oder Endzeitfärbung blieb für die Figuren von Wladimir und Estragon stets nur die artistische Konnotation von Clowns oder Schauspielern übrig.241 Doch diese szenische Definition führt auch nur wieder zur Straße zurück. Hinzu kommen die Schwierigkeiten mit dem Auftritt von Pozzo und Lucky, der mit einem ganz anderen Begriff von Szene und Bild verknüpft ist und den Begriff der Bühne in der Godot-Welt verunklart.

Heiner Müllers Beobachtung zufolge bilden Pozzo und Lucky eine „Szene“. Sie kommen aus einem mit Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung amalgamierten sozialen Raum, den Müller mit dem Namen Brecht anzeigt. Durch einen szenischen Cut werden sie in den unmarkierten Raum versetzt, für den die Auftrittsangabe zu Beginn des Stücks steht. Der szenische Cut weist auf einen Vorgang der Montage hin, mit der zwei unterschiedliche Figurentypen aneinandergeheftet werden, die sich einander und im Hinblick auf ihren Status fremd sind. Fast so fremd, als würde es sich um eine Erstbegegnung handeln. Pozzo: „Vorsicht! Er ist bissig. Estragon und Wladimir schauen ihn an. Fremden gegenüber.“ (25)

Die Tatsache, dass dieser Cut in seiner Drastik so selten hervorgehoben wird, hängt mit der Art und Weise zusammen, wie Pozzo und Lucky szenisch eingeführt werden. Sie bildet die größte Schwierigkeit, sich einer Verräumlichung von Godot zu nähern. Becketts szenische Lösung scheint zu suggerieren, dass die Pozzo-Lucky-Szene vermeintlich im gleichen Raum wie die Szenen von Wladimir und Estragon spielt. Sie scheint zu suggerieren, dass Pozzo und Lucky einfach am Ort von Wladimir und Estragon vorbeikommen. Doch das tun sie nicht. Die Räume beider Figurationen sind füreinander unzugänglich und ein einheitlicher szenischer Raum wird für Godot definitiv nicht entworfen. Um dies zu verdeutlichen, müsste man die anfängliche Bühnenanweisung in den Satz übertragen: Dieses Stück spielt auf keiner Straße bei irgendeinem Baum und wird von keinem Mond beschienen.

Becketts szenische Einführung der Pozzo-Lucky-Szene beruht auf der Entscheidung, sie strikt als Bild aufzufassen. Im Unterschied zur Bühne von Wladimir und Estragon, die mit ihrer Situation übereinkommt und mit der Art und Weise, wie sie ihrer Situation einwohnen, geht es mit Pozzo und Lucky nun um ein szenisches Bild.242 Ganz im Sinn der Bildlogik werden die Redetexte von Wladimir und Estragon plötzlich durch lange, kursiv gesetzte Passagen unterbrochen, die Bilder oder Pantomimen beschreiben. Der Auftritt von Pozzo und Lucky vollzieht sich im Bühnenausschnitt, der durch die Kulissen rechts und links begrenzt wird. Ihr Auftritt ist somit überdeutlich auch als Ausschnitt markiert. Der Strick um den Hals von Lucky „muss so lang sein, dass Lucky bis auf die Mitte der Bühne gehen kann, ehe Pozzo aus den Kulissen tritt. […] Pozzo erscheint. Sie überqueren die Bühne. Lucky geht an Wladimir und Estragon vorbei und verlässt die Bühne. Pozzo bleibt stehen. […] Pozzo zieht am Strick. Zurück! Lucky tritt rückwärts gehend auf. Halt! Lucky bleibt stehen.“

Der Auftritt im Bild der Bühne mit ihren scharf begrenzten Rändern macht auf Wladimir und Estragon den Eindruck, als würde sich hier plötzlich ein Film abspielen. Ihre Beobachtungen nehmen sich wie Bildbetrachtungen aus. E: „Was hat er?“ W: „Er sieht müde aus.“(29) „Sie setzen ihre Inspektion fort und verharren bei der Betrachtung des Gesichts.“ (30) Wladimir und Estragon sind Zuschauer. Pozzo erklärt ihnen, was sie sehen: „Meine Herren, ich werd es Ihnen sagen.“ (37) Pozzo wechselt in den Modus der Darbietung. Er führt sich als Knallcharge auf, er führt Lucky vor. Wladimir wähnt sich „wie im Theater“ oder „Varieté“, Estragon beharrt auf „Zirkus“ (42). P: „Wie fanden Sie mich? Estragon und Wladimir schauen ihn verständnislos an.“ (47) Am Ende dieser Szene wiederholt sich exakt dasselbe Spiel mit der Bildbühne, die nicht als Rahmen, sondern als Ausschnitt akzentuiert wird. Ausschnitt bedeutet, dass sich das Bild, in diesem Fall ein audiovisuelles Bild, virtuell über seine rechte und linke Seite hinaus fortsetzt, die Ansicht also entlang dieser Kanten ab- oder ausgeschnitten wurde. Pozzo und Lucky, die von rechts aufgetreten sind, müssen nach links abtreten. Pozzo geht zuerst auf die „rechte Kulisse zu“. W: „Sie gehen in die falsche Richtung.“ P: „Ich muss einen Anlauf nehmen.“ (59) „Sie gehen. Wladimir folgt ihnen bis an das Ende der Bühne, er schaut ihnen nach.“ (109 f.)

Im Ausschnitt sind Pozzo und Lucky Bildobjekte, die sich zwischen rechtem und linkem Bildrand aufführen. Für Wladimir und Estragon gibt es hinter den Kulissen die Wirklichkeit eines Theatergebäudes. Wladimir, der mal austreten muss, „geht auf die Kulisse zu.“ E: „Am Ende des Ganges links.“ W: „Halt mir den Platz frei. Ab.“ (42) Für Pozzo und Lucky gibt es kein Bühnen-Off. Sie tauchen auf und verschwinden und führen dazwischen eine Art Film in Echtzeit auf, vor Wladimir und Estragon als ihrem Publikum. Die Pozzo-Lucky-Szene gleicht einer Phantasmagorie, die ohne Rauch und Nebel auskommt, und Wladimir und Estragon können, wie Günther Anders schreibt, „während der Begegnung eine gewisse Scheu niemals überwinden“243. Die Pozzo-Lucky-Szene lässt sich kaum als Spiel-im-Spiel oder Theater-im-Theater deuten, weil sie nicht durch eine Spiel- oder Theaterverabredung eingeführt wird. Sie taucht in einem exakt begrenzten Sichtfeld auf, das einem Screen gleicht. Das Paar von Pozzo und Lucky stellt eine extrem komprimierte und zugleich derangierte Figur dar, die durch die Einrichtungen einer Bildbühne auftritt. Sie könnte ein Zitat sein. Nur an einer Stelle mischen sich die Bühnen beider Duos und ihre unterschiedlich fiktiven Welten: In der Mitte des zweiten Aktes sind alle vier zu Boden gegangen. Sie bilden ein „Menschenknäuel “ (101), aus dem sie sich nur mit äußerster Mühe wieder in ihre vertikalen und horizontalen Achsen zurückbewegen. Estragon, der dazu von Wladimir ermuntert wird, nutzt die Gelegenheit, um den am Boden liegenden Lucky „hemmungslos“ (107) zu treten. Das sind die beiden Berührungspunkte dieser in ganz verschiedene Richtungen strebenden Achsen und Bühnen sowie der Preis, wenn sie sich mischen: Knäuel oder Dresche.

Chor-Ort: Land

Die Straße, die „allen gehört“ (27), führt nicht von A nach B. Sie ist ohne Ende und ohne Anfang. Aber als Landstraße ist sie nicht ohne Umgebung, sondern quert ein Land. Ebenso wenig ist sie ohne Horizont, auch wenn dieser unbestimmt bleibt. Ein weiterer Ort, durch den das Wetter zieht und die Temperaturen. Es wird Abend und Morgen. Ein offenstehender Ort wie eine Lichtung: Hier kann alles Mögliche eintreten. Dem ersten Anschein nach handelt es sich um einen unmarkierten, beliebigen Raum im Nirgendwo. Doch dieser sich in der Horizontalen dehnende Ort verdankt sich keinem Mangel an Festlegungen. Er gehört lediglich zu einer anderen Bühne als die uns bekannte Bildbühne. Dieser weit geöffnete Ort entspricht der antiken Orchestra, der Bühne des Chors. Unter diesem Aspekt lassen sich seine topischen Eigenschaften konkretisieren, denn sie gehen mit einem anderen Figurentypus einher und sind mit anderen, nicht-protagonistischen Logiken verknüpft, mit anderen Beziehungsweisen und anderen Formen des Aufenthalts. Die Kritik an einem vermeintlich an Unterbestimmung leidenden Ort läuft ins Leere, wenn wir die Register wechseln und ihn als chorischen Ort, als Bühne des Chors wahrnehmen. Dieser Registerwechsel stellt keinen neuen, zusätzlichen Versuch dar, die Figuren festzulegen, sondern bezieht sich auf den Figurentypus, dem sie zugehören. Er widerspricht nicht bisherigen Versuchen, die Figuren zu bestimmen, die wir hier antreffen, sondern nimmt im Gegenteil alle diese Versuche auf und bestätigt sie. Er rahmt sie lediglich anders und begreift die Leute, die wir hier antreffen, als Abkömmlinge eines vielfachen und vielfältigen Chors: Clowns, Vagabunden, Penner, Landstreicher, Geflüchtete, Verfolgte, Fremde, Reisende, Staatenlose gleich welcher Art. Unter dem Aspekt des Chors handelt es sich zunächst und vor allem um Unbehauste.

Die sozialen, politischen oder historischen Hintergründe, denen das Unbehauste häufig nur als schnell zu behebender Ausnahmezustand erscheint, interessieren hier nicht. Stattdessen sind der Status und die Bewegungsformen von Unbehausten wahrzunehmen, deren erstes Merkmal darin besteht, dass sie nicht wohnen. In keinem Haus, in keiner Stadt, in keinem Staat, noch nicht einmal in einem Land. Sie halten sich vorübergehend auf, unter keiner oder unter wechselnder Adresse. Sie sind unstet und grundlegend mit den Bewegungsformen von Kommen und Gehen verbunden. Sie nehmen flüchtigen Aufenthalt. Sie sind mit der Straße verschwistert und mit ihren Mikromilieus der Gräben, Unterstände, Keller, Ställe, Hütten. Sie sind mit minimalen Formen von Arbeit, sozialen Praktiken und Ritualen verknüpft und mit den mikropolitischen Formen der Gabe, der Gastfreundschaft, des Gewährens und Nehmens. Sie sind Genies semistabiler Provisorien und diskreter Zusammenhänge. Sie sind unüberschaubar viele. Im Echoraum der Geschichte, des Sozialen und des Politischen sind sie nicht ohne Berührung mit diesen Bereichen, aber doch meilenweit entfernt von deren sozialen und politischen Kollektiven mit ihren universalen und hegemonialen Gesten. Im Echoraum einer groß geschriebenen Geschichte ist es Unbehausten nicht um partikulare Interessen zu tun (obwohl die Übergänge zur Interessenartikulation mit ihren öffentlich vorgetragenen Protesten, Demonstrationen etc. fließend sein können), sondern um viel weniger, das zugleich mehr ist. Unbehausten geht es um ein beliebiges und zugleich nicht austauschbares Leben, um jenes Leben, das Gekenterte retten, wenn sie am Ufer aus dem Wasser gezogen werden. Unbehauste kommen stets von den Rändern oder aus der Peripherie sozialer Ordnungen, Institutionen und Gesetze. Sie können ihre Inklusion anstreben, können sie aufschieben (unfreiwillig oder freiwillig) oder sie, etwa in der Verachtung für alles Sesshafte, verweigern.244 Unterschiede dieserart sind jedoch nachrangig gegenüber dem Faktum, dass Unbehauste ihrem Status nach niemals zur Mehrheit gehören.

Aus dem „Universum“ (16) der Unbehausten kommend, finden sich Wladimir und Estragon hier, an diesem offenstehenden Ort vor, der durch sie zu einer Bühne wird. Wie jeder Chor sind sie schon da.245 Estragon versucht, seinen Schuh auszuziehen, Wladimir „nähert sich“. Keine Erwähnung irgendeiner Kulisse. Godot setzt mit einem unbestimmten, wiederholten Scheitern ein: „Estragon gibt es wieder auf. Nichts zu machen.“ Wladimirs erste Repliken zeigen ihn in Gedanken an ein ebenfalls wiederholtes Scheitern: „Ich sagte mir: Wladimir, sei vernünftig, du hast noch nicht alles versucht. Und ich nahm den Kampf wieder auf.“ So stellen sie erst die Ränder, die Peripherie her, aus der sie kommen. Wladimir bringt das Motiv der Rückkehr zur Sprache und drückt seine Freude darüber aus, Estragon wiederzusehen. Wladimir: „Ich dachte, du wärst weg für immer.“ Ganz wie antike Helden nach langer Fahrt zu Hause wieder ankommen und emphatisch empfangen werden, fragt Wladimir: „Wie sollen wir dies Wiedersehen feiern?“ Auf engstem Raum wird die chorische Figur der Wiederholung bzw. des wiederholten Scheiterns eingeführt und als Inversion des nostos, der Heimkehr des tragischen Helden, ausgewiesen. Da das Unstete, Unbehauste und das grundlose Soziale auf seine Seite zählen, kehrt der Chor jedoch nicht heim, sondern kehrt wieder.

Demgegenüber wird bis zum Einsatz der Pozzo-Lucky-Szene das strahlende Bild eines Protagonisten entworfen, zu dessen Merkmalen Sesshaftigkeit, gesellschaftliche Kontur und sozialer Grund zählen. Der Protagonist ist mit dem Standard verknüpft, mit dem Bild des städtisch gebildeten, kräftigen, erwachsenen und etablierten Mannes. Wladimir und Estragon bieten in allem das gegenteilige Bild: Sie sind arm, alt und schäbig, die Stadt liegt seit langem hinter ihnen. Estragon hat einen schmerzenden Fuß und humpelt, Wladimir lässt (nach einer eindeutigen Erleichterung) seinen Hosenstall offenstehen, zwei abgewrackte Männer. Der Protagonist steht für den Standard der Mehrheit. Die beiden, denen wir in Godot als Chor begegnen, stehen für die Minderheit. Auf ihrer Bühne ist der Protagonist abwesend. Die Minderheit hingegen umfasst, wie wir wissen, die gesamte Welt.246

Die Figur des Protagonisten wird plastisch durch alles, was Wladimir und Estragon auf Godot projizieren. Sie haben ihn um eine Auskunft „gebeten“, doch eher habe es sich um eine „vage Bitte“ gehandelt, auf die hin er nichts versprochen habe. Godot besitzt ein Pferd, er wohnt. Er hat Familie, Freunde, Agenten, Korrespondenten, Register, Bankkonto, Rechte (19 f.). „C’est normal“247, kommentiert Estragon diese Status-Liste eines Besitzers und Sesshaften. Bei Godot übernachtet man „im Warmen, im Trocknen, mit vollem Bauch, auf Stroh“ (21 f.). Durch eine sich über zweieinhalb Seiten des Textes erstreckende Verwechslung der Personen und Namen Godot/Pozzo gehen Merkmale der Figur des Protagonisten auf Pozzo über, der sich als Herrenmensch, als Grundbesitzer und als Exemplar der mehrheitsfähigen Menschengattung von „Göttlicher Abstammung!“ (26) vorstellt. Das Spiel der Verwechslung wiederholt sich im zweiten Akt (94 f.). Es weist Pozzo als einen Protagonisten aus, in dem sich schon die Brüchigkeit des großen Einzelnen, des metaphysisch chiffrierten Self-made-man anzeigt. Zum mehrheitsfähigen Standard gehört er trotzdem.

Wladimir und Estragon stehen auf der niemals mehrheitsfähigen Seite unzählig Vieler, was Heiner Müller ins Bild fasst, wenn er sagt, da könne man ‚eigentlich nur noch den Schluss ziehen, am nächsten Tag in die Kommunistische Partei einzutreten‘. Ohne Wohnung, abgerissen, schlecht zu Fuß, zwei alte Kerle, die vergesslich geworden sind („Was sagte ich noch …“, 11, 36, 45, 78) und sich nur noch lückenhaft erinnern. Einmal geboren, ließe sich dies „bereuen“ (10), aber ansonsten sind sie da und machen weiter. Günther Anders deutet die Passivität eines „Menschen, der bleibt, weil er nun einmal da ist“248, phänomenologisch und zeitdiagnostisch: Er sei repräsentativ für ein Leben ‚nach der Geschichte‘249, für das ‚durchschnittliche Leben‘ von Arbeitslosen und Massenmenschen etwa, die Anders als Beispiele anführt. Fragen wir jedoch nach dem Theater, dann steht dieses Leben, das nun einmal ‚da‘ ist, nicht beispielhaft für ein anderes Leben, es spricht keine Sprache der Repräsentation. Vielmehr bildet das Schon-da das erste und wichtigste Merkmal der Figur des Chors.

Nehmen wir Wladimir und Estragon als Chor wahr, so gleichen sie exakt jenem antiken Chor in der Orchestra, der den Protagonisten erwartet, bereit, ihm einen Ort einzuräumen, den er als Einzelfigur nicht selbst aus sich heraus erzeugen kann. Nun bleibt dieser Protagonist im Fall von Godot jedoch aus und die Situation des Wartens wird angehalten. Auf der Stelle dehnt sich die Situation zu einem anfangs- und endlosen Raum. Dass sich diese Dehnung herstellt oder auch ergibt, hat vor allem damit zu tun, dass dieses anfängliche Schon-da des Chors einer Topo-Logik zugehört und nicht der Logik einer gerichteten Zeit gehorcht. Der wartende Chor bezeichnet vor allem einen empfänglichen Ort, seine Erwartung ist nicht in die Zukunft gespannt, er wartet nicht auf ein besseres Morgen. Erwartend bildet der vielstimmige Chor schlichtweg eine Situation, die sich ausdehnt, bereit, etwas aufzunehmen, sodass etwas eintreten kann, das sich im antiken Theater an die Figur eines Protagonisten heftet. Dieser Chor-Ort der Orchestra bildet in Godot nun der Raum der Unbehausten, mit einem unbestimmten Horizont, in unabsehbarer Umgebung. Mit diesem Raum sind Wladimir und Estragon verschwistert, von hier aus kommen sie, erkunden die Kulissenbühne, blicken von der Rampe aus ins Publikum und kommentieren: „Dieser Sumpf!“ (15)

Nicht nur an dieser Stelle beugen sich Wladimir und Estragon sozusagen aus der Orchestra über die Rampe eines Innenraumtheaters. Auch ihre Gesten, die dem Himmel, dem Horizont, der Erde oder der Ferne gelten, sind dem größeren Theater entliehen, dem sie zugehören und dessen Raum im Kompositum Landstraße durch das Wort Land angezeigt wird. Im Innenraumtheater, das sie nur ironisch oder verächtlich kommentieren, sind sie irgendwie am falschen Ort. E: „Komm, wir gehen!“ (13) Aber sie können es auch deshalb nicht, weil sie Figuren aus der Orchestra am Ort der Tragödie sind, noch bevor diese einsetzt. Wird das Theater in diesem Moment angehalten, dann ist diesem noch bevor nichts über die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des Erwarteten zu entnehmen. Es gibt keinerlei Indizien. Aus diesem Grund warten Wladimir und Estragon und verwickeln sich in ihr Warten, indem sie anfangen, jede noch so kleine Gegenwart bis schier ins Unendliche zu unterteilen.

Unterschiedlich bedürftig, mutig oder verzweifelt lösen sich ihre Einfälle aus den Leerstellen des Wartens (Pause). Nur ein Und, das zwischen dem einen und dem anderen, zwischen einem Vorhergehenden und einem Nachfolgenden vermittelt. Das Und als eine, wie Blanchot sagt, „neutrale Aussage, die nur sich selber ausspricht“250, bildet die für sie einzige treibende Kraft. Eingedenk dessen, dass es sich nicht um einen Fluch handelt (nicht aufhören zu können) und auch nicht um eine Qual (sie haben sich zu Komplizen und spielen) und ebenso wenig um ein zähneknirschendes Standhalten (es dreht sich nicht um Hoffnung), ist mit dieser schwachen Kraft des treibenden Und die reine Gewärtigung minimaler Bewegungen verknüpft. Aus diesen Merkmalen setzt sich in der Godot-Welt von Wladimir und Estragon ein Theater des Chors zusammen.

Es tritt mitten in den 1950er Jahren mit einer solchen Fremdheit auf die Bühnen, dass es dem Theaterkritiker und damaligen Leiter des National Theatre London, Kenneth Tynan, so erschien, als käme es geradewegs vom Mars:

„Nach allen bekannten Kriterien ist Warten auf Godot ein dramatisches Vakuum. Es hat keinen Plot, keinen Höhepunkt, keine Lösung, keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende, es wirft freimütig alles über Bord, was wir als Theater kennen, es kommt einfach so an, ohne Gepäck, ohne Ausweis, ohne etwas anzumelden und geht dennoch durch, so als wäre es ein Pilger vom Mars.“251

Chor-Ort: Straße

Die andere Hälfte des Kompositums Landstraße ist verschwistert mit dem Theater der fahrenden Leute, mit dem Stegreifspiel der Komödianten und mit ihren nomadischen Bühnen. Die Straße bezeichnet das Außen in westlichen Gesellschaften, die sich in der Renaissance über ihre Urbanität zu formieren beginnen. Jene Stadt, die nicht länger einem himmlischen Jerusalem nacheifert, sondern Irdische im Diesseits beherbergt, wird zum Nabel gesellschaftlicher Neuformationen. Diese Stadt ist, das klingt auf den ersten Blick trivial, eine gebaute Stadt. Sie entwickelt sich in engem Zusammenhang mit der in der Renaissance erschlossenen visuellen Kultur, die unser Sehen als ersten Sinn unter unseren sinnlichen Vermögen adressiert. Gehen wir von diesen für das Auge gebauten Städten als Movens der kommenden Entwicklung aus, so ist es sehr auffällig, dass diese Städte als ihr Außen nicht das Land definieren, sondern die Straße, also das von ihnen geschaffene, artifizielle Außen. Diese Straße geht mit Verkehr, Handel und Mobilität als solcher einher. Im Fall der Renaissancestädte umfasst das Wissen der Straße den Geldverkehr mit allen seinen Verwandlungen im Waren- und Zeichenaustausch. Die Straße spielt ihre Rolle als (para-)militärische Trasse für oder gegen den Aufstand oder als Fernstraße im Zeitalter der europäischen Expansion. Es ist nicht möglich, die Straße auf einen Nenner zu bringen. Sicher ist nur, dass sie sich nicht bewohnen lässt und dass sie zur Inneneinrichtung einer Welt zählt, die sich allmählich zum „Weltinnenraum des Kapitals“252 schließt. Die Straße ist das Medium dieser Entwicklung.

Alle Merkmale der Straße korrespondieren in überragender Weise mit dem schriftlosen Stegreifspiel der komischen Figur, für die der Harlekin par excellence steht: Sein Spiel hat nichts außer oder über sich. Es thematisiert das Spiel als solches, das heißt, es spielt mit der Bodenlosigkeit des Spiels selbst. In Bezug auf die Städte der Renaissance, die sich als Speicher von Macht und Prosperität abzusichern versuchen, fügt das Spiel der Komödianten, die invasionsgleich in die Städte einfallen, diesen das Wissen hinzu, dass ihre Inneneinrichtungen auf bodenlosem Terrain spielen. Der Harlekin trägt das Stegreifspiel der komischen Figur. Er ist keine Einzelfigur, sondern ein Typus und bezeichnendes Prinzip eigenständiger Spiel- und Beziehungsweisen der Commedia. Harlekin ist der Name eines ganzen Theaters. Nikolaus Müller-Schöll beschreibt das Auftauchen des Harlekins aus den komischen, närrischen Volkskulturen Oberitaliens, folgendermaßen:

„[Die] frühesten Bild- und Wortzeugnisse von ihm sind um das Jahr 1570 herum datiert. Ein armer Schlucker, ein Knecht aus Bergamo, der seine Armut verbirgt, immer hungrig und durstig, immer aufs Kopulieren aus, regsam, lustig, ausgelassen, geistreich, schlagfertig, im Vorfeld von Gut und Böse, doch mit zuweilen infernalisch anmutenden Zügen, im Übrigen vor allem elastisch und anpassungsförmig, ausgestattet mit einer unerschöpflichen ‚Lust der Verwandlung‘, weshalb Alewyn ihn als ‚Inbegriff des absoluten und universalen Schauspielers‘ bezeichnet, ein Chamäleon, ein Mann der Metamorphosen, der nicht von ungefähr im italienischen Theater häufig von Akrobaten gespielt wurde. Prägnant ließe sich der Typus mit einem alten Spontispruch beschreiben: zu allem fähig und für nichts zu gebrauchen.“253

Um 1800 geraten die eigenständigen Spiel- und Beziehungsweisen der komischen Figur und des Chors verstärkt in den Blick. In seiner Vorschule der Ästhetik (1804) schreibt Jean Paul zum Harlekin:

„Er ist der Chor der Komödie. Wie in der Tragödie der Chor den Zuschauer antizipierte und vorausspielte und wie er mit lyrischer Erhebung über den Personen schwebte, ohne eine zu sein: So soll der Harlekin, ohne selber einen Charakter zu haben, gleichsam der Repräsentant der komischen Stimmung sein und ohne Leidenschaft und Interesse alles bloß spielen, als der wahre Gott des Lachens, der personifizierte Humor.“254

Die Charakterisierung des Harlekins als Chor der Komödie verdeutlicht schlagartig die tiefe Verwandtschaft beider Figuren. Sie teilen nicht die vita activa von ‚Personen‘, obwohl sie Anteil nehmen. Sie sind ‚bloße Spieler‘, die unter ihre immensen Erbschaften auch einen ‚Gott des Lachens‘ zählen. Sie verhalten sich nicht in einer fortschreitenden Zeit von Interessen und Leidenschaften, sie begleiten oder bezeugen diese eher wie Zuschauer. Sie ragen aus der Peripherie in die jeweiligen Gründungs-, Abgrenzungs- und Eroberungsbewegungen hinein, aus denen eine Epoche ihre neuen Binnengliederungen gewinnen will. Sie erinnern ein Außen, das zwar verändert, aber dennoch in transformierter Weise gleichzeitig und weiterhin vorliegt. Aus diesem Grund variieren die Figuren Chor und Harlekin in den jeweiligen Umbruchszeiten ein ‚Mit‘, an dem das Gewicht der Welt hängt. Durch ihre Eigenschaft, im Horizont des Theaters weiterhin herum zu spuken, halten diese Figuren das Theater davon ab, sich zu schließen.

Was die komische Figur, die Commedia, Harlekins, Clowns usw. eint, beruht nicht auf Ähnlichkeiten, Regeln, Konventionen oder Codes des Komödiantischen, sondern begründet sich im Prinzip der Straße. Die Straße vereint sie in einer Art und Weise, die nicht in einer ‚Geschichte‘ zu fassen ist und so, dass auch diese Figuren nicht in eine Geschichte gefasst sind. Sie sind getrennt und unterschiedlich. Sie können im Einzelnen burlesk und narrativ auftreten, sie können akrobatisch, illustrativ oder auch als vollkommenes Klischee auftreten. Doch alle diese Besonderheiten verschwinden zugunsten eines gemeinsamen Faktums der Figuren, das mit ihrer herkunftslosen Herkunft korrespondiert, sodass sie, die sich keiner Gründung verdanken, immer nur in Modulationen vorliegen. In der Serie ihrer zahlreichen Metamorphosen und unterschiedlichen Typen sind sie als Komödianten kenntlich, die den Chor der Straße bilden.

Zweifellos variieren die Spiele von Estragon und Wladimir den Kummer des leibverhafteten, immer hungrigen, immer verprügelten Rotclowns und die Traurigkeit des klugen, von der Unfreundlichkeit der Welt enttäuschten Weißclowns. Als Clowns hängen sie zusammen, aber sie sind nicht von derselben Art. E: „Wir waren nicht für denselben Weg gemacht.“ W: „ohne böse zu werden: Das ist sicher.“ E: „Nein, nichts ist sicher.“ W: „Wir können noch auseinandergehen, wenn du meinst, dass es besser wäre.“ E: „Jetzt lohnt es sich nicht mehr. Schweigen.“ (66 f.)

Die clownesken Merkmale ihres Spiels erscheinen marginal. Sie werden derart an der untersten Grenze einer Spieleinfärbung gehalten, dass sie kaum wahrzunehmen sind. Und dennoch wäre kein Spiel von Wladimir und Estragon denkbar ohne die Minimalstütze, die sie in jenem System des Clownesken besitzen, das auf den Harlekin als Chor zurückgeht. Diese Referenzen funktionieren hier jedoch nicht im Sinn eines Systems, das feste Strukturen und Codes in der Art eines Handwerkskastens bietet, auf den sich ‚zurückgreifen‘ ließe. Eine solche mechanische Vorstellung verbietet sich im Fall der genannten Straßenkünste völlig. In Bezug auf Wladimir und Estragon haben die Erbschaften der Straße zusätzlich eine andere Funktion. Als Figuren bietet ihnen die Straße eine Öffnung in eine Vielzahl von unpersönlichen Figurationen. Sie teilen mit dieser Vielzahl ‚die Straße‘ als ein gemeinsames Faktum, das wie ein unwillkürliches Gedächtnis eintritt oder dazwischentritt und ihre Spielbewegungen moduliert. Wladimir und Estragon agieren in gewisser Weise nicht ‚selbst‘ und denken sich nicht ‚selbst‘ aus, was zwischen ihnen spielt. Vielmehr verkoppelt sich Vergangenes einer Figurenund Typenpluralität mit ihrer begrenzten Godot-Welt. Aus dieser Koppelung lassen sich eine Vielzahl nicht kodierter und nicht kodifizierbarer Spiele generieren, die zu Spielen von Wladimir und Estragon werden. Das Vergangene des Chors der Komödianten hat sich hier angekoppelt, ohne dass man dazu die geringste Geschichte erzählen könnte. Das Wissen der komischen Maske wurde über lange Zeit hinweg schriftlos, von Spieler zu Spieler, tradiert.255 Es ist reine Straßenkunst, der die Straße als Aufführungsort dient, nicht etwa aus Verlegenheit oder aus Mangel an anderen Gelegenheiten, sondern weil sie dem Spiel der komischen Maske als einzige adäquat ist. Die Straße als artifizielle Einrichtung für den Verkehr im Allgemeinen zeugt von der Commedia als einer Verkehrskunst im Besonderen und in jedem ihrer Züge.

M. Gogo

Die sehr allgemeine Charakterisierung von Wladimir und Estragon als Weißund Rotclown lässt sich in Bezug auf Estragon auf eine überraschende Weise konkretisieren, wenn wir eine Spur aufnehmen, die ihn mit einem populären Typus verbindet, der sich im 19. Jahrhundert auf einem französischen Sonderweg in die Moderne einstellt. Monsieur Gogo256 ist zunächst eine Figur aus der Komödie Robert Macaire, die Ende der 1830er Jahre in Frankreich weite Verbreitung findet. Über verschiedene Vermittler und Verteiler löst sich diese Figur jedoch aus ihrem marginalen literarischen Milieu und wird im Verlauf des Jahrhunderts sprichwörtlich. Um 1900 bezeichnet ein Gogo in der populären Sprache eine leichtgläubige Person, die sich gerne irreführen lässt und daher den Gelackmeierten oder Dummen in einer Farce oder im Alltag abgibt. Seine Stationen lassen sich wie folgt nachzeichnen.

Der Typus Gogo hängt eng mit der Entwicklung des Finanzkapitals in Frankreich während der zweiten industriellen Revolution zusammen, in der ein starker kommerzieller Geist das französische Kleinbürgertum erfasste.257 Sparen und Investieren verbreitete sich als Mentalität namentlich unter den kleinen Leuten. Kleine und mittlere Geschäftsleute aller Art wittern überall Gewinnmöglichkeiten, nehmen Kredite auf, kaufen Börsenpapiere, wetten auf die Freiheit des Geldverkehrs, les affaires, wie die Geschäfte einfach hießen und hoffen auf Rendite. Das führte in den 1880er Jahren dazu, dass der sogenannte flüssige Reichtum, der Geldverkehr und der Vorrat an verzinslichen Wertpapieren, in Frankreich mehr gestreut bzw. demokratisiert waren als in irgendeinem anderen Land der Welt. Diese Entwicklung wurde als französischer Sonderweg der industriellen Modernisierung bezeichnet, dem sich nach 1900 der Aufstieg der Banque de France zur Weltbank Nummer Eins verdankte.

Aus der Peripherie dieser Entwicklung kommt die Figur des Monsieur Gogo, der 1834 seinen ersten Auftritt als Kleinaktionär auf einer Aktionärsversammlung in der Komödie Robert Macaire258 hat. Ihr Titelheld ist der intrigante Spekulant Macaire, eine perfekte Verkörperung des skrupellosen Emporkömmlings im Finanzboom der vorausliegenden Jahre. Macaire will ein neues Unternehmen gründen, ausgerechnet ein profitables Versicherungsunternehmen gegen Diebstahl, legt aber keine Abrechnungen vor. M. Gogo: „Ich verlange, dass auf der Stelle die Dividende aus dem Gewinn ausgezahlt werde.“ Macaire: „Ach, mein Herr, das verstehen Sie unter Geschäften?“259 Die höhnische Replik reicht den anderen Aktionären aus, um M. Gogo aus ihrer Versammlung zu werfen, während sie selbst in Macaires neues Geschäft einsteigen, das erwartungsgemäß pleite macht. Die Komödie feiert stürmische Erfolge und findet große Verbreitung, sodass es bald Nachahmer gibt: Das Vaudeville Monsieur Gogo à la Bourse von M. Bayard hat 1838 im Pariser Théâtre des Varietées Premiere.

Eine weitere Verbreitung und Konturierung erlangt der Typus des M. Gogo durch die Serie, die der zu diesem Zeitpunkt schon berühmte Honoré Daumier ab 1838 in satirischen Tageszeitungen veröffentlicht: Eine Serie von fünf Lithografien unter dem Titel Mésaventures et désappointements de M. Gogo260 zeigt Gogo als einen zerknirschten, aber unbeirrbaren Teilnehmer der Aktienmärkte, der nicht davon ablässt, dubiosen Geschäftsideen zu vertrauen, obwohl Direktoren wie Macaire schon den Großteil seiner Aktionärseinlagen in den Sand gesetzt haben. Eine Lithografie Daumiers zeigt M. Gogo mit Macaire, der ihn gerade davon überzeugt hat, für nur ein Drittel des Gewinns alle weiteren Verluste hinzunehmen. 1840 findet Gogo in den Typenkatalogen von Honoré de Balzac Beachtung, der sich mehrfach auf die Komödie Robert Macaire bezieht.261 1859 hat ein weiteres Vaudeville Monsieur Gogo Premiere.262 Gogo wird schlechthin zum Synonym für die Figur des Düpierten, der in den Wassern eines weltweiten Finanzmarkts ein bisschen mitschwimmen will, der von der Doppelzüngigkeit bis zur bloßen Gemeinheit alle Facetten der Waffen des Kredits kennengelernt hat, der betrogen und übers Ohr gehauen wird und der trotzdem nicht aufhört zu glauben, dass es beim nächsten Mal klappen könnte. Weil das Spiel zwischen Betrügern und Betrogenen nicht aufhört und Gogo unbeirrbar an der Möglichkeit eines Gewinnteils festhält, ist Gogo ein Typus, der sich ungeheuer vermehrt und ausbreitet.

Gogo hat sich im frühen 19. Jahrhundert, aus Frankreich kommend, auf die Straße der Clowns eingefädelt und spielt mit. Die eigene Farbe, die ein Gogo mitbringt, hängt mit den bodenlosen Verkehrskünsten der Straße in ihren abstraktesten und allgemeinsten Zügen zusammen. Die Freiheit des Verkehrs, die ihn motiviert, ist der Kapitalverkehr und der auszuschüttende Betrag, der irgendwo abfallen muss, wo es einen Einsatz gibt. Aufgrund der Besonderheit seines Spielfelds ist ein Gogo stets mit Vielen und großen Mengen verknüpft, mit den jeweiligen Spielerbanden von Börsengewinnlern und -verlierern, mit Kursnachrichten und hohen Summen. Gogos und Macaires bilden zwei alte Zweige derselben Familie, aber viel mehr als ein Macaire, der sich zur Seite des Terrorismus der Börsenspieler hinwendet, neigt ein stets gelackmeierter Gogo zur Seite von Clowns herüber, nimmt fast schon Züge eines zerknirschten dummen August an. Unverkennbar sind einige Züge diese Figur auch im clownesken Typus von Estragon wiederzufinden.

Eine Facette, die zur Roulette-Logik eines Gogo passt, ist die Devise: alles oder nichts, Hauptgewinn oder Strick. Estragon ist dem Strick näher als Wladimir. E: „Komm, wir hängen uns sofort auf.“ (18) Die Gogo-Logik dirigiert auch Estragons Überlegungen zur Reihenfolge des Sich-Aufknüpfens: „Didi schwer“/„Gogo leicht“ (19). Hinzu kommt das auffällige Merkmal, dass Estragon Geld „wittert“ (34). Das können „Almosen“ (34) sein, „ein paar Mark“ (47), ein „paar Groschen tun’s auch“ (35), entsprechende Wiederholungen gibt es im zweiten Akt. Estragon wird jede Nacht übel zugerichtet, eine Bande, eine vielleicht wechselnde Meute. „Es waren zehn.“ (71, 72) Wladimir versucht, den Grund dafür zu erfahren, es gibt keinen. Estragon wiederholt nur: „Ich habe nichts gemacht.“ (71, 72). Sucht man nicht nach naturalisierenden Erklärungen (die der Text ausschließt), dann gehört diese Prügel einfach zur Umgebung dieser Figur, die auch hierin die Züge eines Gogo trägt, der immerzu Schläge einsteckt, aber nie austeilt. Die Schuhe, Gräten, Rüben, Tritte und Bisse gehören zum Rotclown. Aber die Servilität, mit der Estragon dem reichen Besitzer Pozzo „spielend“ (44) begegnet, gehört unverkennbar zu einem Gogo. Auffallend ist ebenso, dass es immer Estragon ist, der die großen Zahlen nennt. Und dann ist da natürlich dieser Name. Es ist kaum möglich, in Frankreich beim Stöbern durch die Literatur, die sich mit dem Vaudeville, der Comédie, dem Varieté, dem Zirkus oder der Karikatur eines Daumier befasst, nicht auf den Namen Gogo zu stoßen. Selbst ein Lexikon zur Zirkussprache aus dem Jahr 2003 verzeichnet noch den ‚Monsieur Gogo‘.263

Gogo wäre dann im Fall von Godot nicht der Spitzname von Estragon, der zuerst bekanntlich Lévy heißen sollte. Vielmehr wäre Estragon eine Umkleidung des Namens Gogo, der die perfekte Schaukel einer wechselspielenden Zwei mit den Spitznamen Didi und Gogo erlaubt. Die Straße der Clowns spielt in Godot mit. Ihre Künste sind Mitspieler im Spiel von Zweien, die als Chor erkennbar sind. Im Folgenden möchte ich die Merkmale dieser Spiele genauer untersuchen und dabei den Vorteil nutzen, dass hier nur zwei Leute den Chor geben, der Chor also wie unter einem Brennglas komprimiert und gleichzeitig vergrößert vorliegt.

Spiele mit Zuschauern

Die Spiele von Wladimir und Estragon heißen: einander verlassen, einander wiederfinden, streiten, erinnern, vergessen, fragen, widersprechen, helfen, umarmen usw. Nicht-sprachliche oder sprachliche Aktionen und Reaktionen: In purer Rückbezüglichkeit gibt eine Replik die andere, springt her und hin, vor oder zurück. Darunter oder dahinter ist nichts als die leere Zeit. Der Sinn wird gleichgültig. Jedoch nicht, weil der Sinn einerlei wäre oder es auf ihn nicht ankäme (das Gegenteil ist der Fall: es gibt keine einzige unorganisierte, referenzfreie Replik), sondern weil hier jeder Anfang, jede Pause, jede Abwesenheit, jeder wiederholte Anfang und jede Wiederholung im Leeren schwebt. Der Sinn wird nicht aus der Tiefe einer Sprachlosigkeit geborgen, er wird nicht eigens hervorgebracht. Er ist vielmehr da, gültig und ‚wahr‘ und läuft jederzeit mit, als Mit-Sinn. Er gilt für alles gleich, was in der bodenlosen, porösen Struktur dieser Spiele auftauchen kann. Der gleichgültige Sinn ist nicht weniger Sinn, sondern vervielfältigter, ausgestreuter Sinn: mehr Sinn. Sogar das Sinnlose ist nicht ohne Sinn, sondern ist with-out Sinn. In Godot heißt es, als Estragon, der eine gelbe Rübe suchen will, sich nicht rührt: „Nun wird es wirklich sinnlos.“ / E: „Noch nicht genug.“ (83)

Die Spiele von Wladimir und Estragon verwenden Sprache und bestehen aus Sprache, sind aber keine Sprachspiele. Ihre Spiele stellen bewegliche sprachliche Oberflächen her: Auf diesen werden Worte und Namen wie sprachliche Atome platziert und syntaktischen Funktionen anverwandelt, also eingefärbt, zusammen- und auseinandergesetzt. Sehr häufig wird das schließende Band des Satzes durch die Aussetzung eines Verbs zerschnitten, sodass die Rückführung der Bedeutung auf die Bezeichnung unterbrochen wird und sich nur im Rückgang auf den Spielverlauf ergibt. Sobald sich das Band des Satzes über einem Bezeichneten zu schließen anschickt, schmälert diese drohende Schließung das Spiel des Aufschubs. In diesen Momenten unterbrechen sich Wladimir und Estragon oft durch ein tautologisches Moment: „Eben.“ (frz. „Voilà.“) Diese Partikel halten die Rückführung der Bedeutung auf die Bezeichnung auf. Sie widerstreben der Schließung. Nur wenn es gar nicht mehr anders weitergeht, ergeben sich die Spieler einem „Schweigen“, mit dem ihre Spiele jeweils enden, denn sie sind aus Sprache gemacht (und insofern ist die Sprache selbst ihr einziges Ereignis).

Für das Verhältnis zwischen Spielverlauf und dem Spiel selbst soll im Folgenden ein Abschnitt im Zusammenhang zitiert werden. Versuchen wir, ein Spiel von Wladimir und Estragon zu bezeichnen, so stellt sich im Horizont dieser Spiele stets ein Verb im Infinitiv ein. Der Modus des Infinitivs signalisiert, dass Verben nur ungenügend begriffen sind, wenn sie für die Repräsentation einer Aktion gehalten werden. Im Unterschied zu konjugierten Verben und ihren konkreten Zeitlichkeiten, verdeutlichen Infinitive eine andere, weiterreichende Modalität von Verben. Abgeleitet von lat. infinitus, was wörtlich mit „unbegrenzt“ oder „unbestimmt“ zu übertragen ist, signalisieren Infinitive die Zugehörigkeit von Verben zur Dimension des Ereignisses.

Das Spiel, um das es im Folgenden geht, lässt sich mit den Infinitiven ‚fragen‘, ‚denken‘ bezeichnen. Die Oberflächen, die Wladimir und Estragon hier sprachlich entrollen, enthalten Namen für das Schlimmste: „all die Leichen“, „die Gebeine“. Das Wort „Ein Massengrab“ – „Un charnier“ – wird doppelt genannt und von Elmar Tophoven 1953 mit dem ungleich banaleren Wort „Ein Beinhaus“ übersetzt.264 Es taucht als sprachliches Atom im Pingpong-Spiel von Wladimir und Estragon auf, die von einem einfachen Wir in ein allgemeineres, inklusives Wir (frz. on) übergehen. Das Spiel öffnet sich dadurch in besonderem Maße zum Zuschauer hin und wird als dargestelltes Spiel betont. Gleichzeitig liegt es jedoch in seiner sprachlichen Struktur und seinen Spielern fest, ist also als Spielwelt gerahmt: „War gar nicht so schlecht als kleiner Galopp“ (78), kommentiert Estragon nach einem Schweigen ihr soeben abgelaufenes Spiel. Ihr Spiel aber ist das Ganze aus Spielern und Zuschauern, die nicht mitspielen, sondern für die und vor denen das Spiel spielt. Solche Zuschauer gehen auf das Spiel selbst zu und hören einem infiniten Ereignis zu, das sich von den Spielenden ablöst. Sie vernehmen die Sätze, die sich auf der Ebene der sprachlichen Oberflächen nicht schließen und hören etwas im Pingpong des Spiels von Wladimir und Estragon, das anwesend ist, aber nicht ausdrücklich gesagt wird.

Wladimir: Denken ist nicht das Schlimmste.

Estragon: Gewiss, gewiss, aber das ist doch schon etwas. Wladimir: Wieso ist das schon etwas?

Estragon: Das ist es, wir wollen uns Fragen stellen!

Wladimir: Was willst du damit sagen: das ist doch schon etwas?

Estragon. Das ist doch schon etwas weniger. Wladimir: Eben.

Estragon: Also? Wie wär’s, wenn wir uns freuten? Wladimir: Es ist eben schrecklich, gedacht zu haben. Estragon: Ist es uns überhaupt je passiert?

Wladimir: Woher kommen all die Leichen? Estragon: Die Gebeine.

Wladimir: Eben. Estragon: Eben.

Wladimir: Wir haben doch wohl ein wenig gedacht. Estragon: Ganz am Anfang.

Wladimir: Ein Beinhaus, ein Beinhaus.

Estragon: Man braucht nur nicht hinzuschauen. Wladimir: Es zieht den Blick an.

Estragon: Eben.

Wladimir: Der kann nicht umhin. Estragon: Wie bitte?

Wladimir: Der kann nicht umhin.

Estragon: Man sollte sich entschlossen der Natur zuwenden. Wladimir: Wir haben’s versucht.

Estragon: Ach ja.

Wladimir: Oh, es ist gewiss nicht das Schlimmste. Estragon: Was denn?

Wladimir: Gedacht zu haben. Estragon: Klar.

Wladimir: Aber wir hätten darauf verzichten können. Estragon: Was willst Du?

Wladimir: Eben.

Schweigen. (S. 77 f.)

Das Spiel lässt sich nicht anhand einer einfachen Bewegung beschreiben, auch nicht als einfache Wechselseitigkeit, sondern nur anhand von Bewegungen des Hin und Her, des Vor und Zurück, die insgesamt den Zirkel eines Satzes darstellen, der nicht ausgesprochen wird. Dem Zirkel dieses Satzes entsprechen die folgenden Verben in ihrer infinitiven Form: denken, fragen, schauen, abwenden, verzichten bzw. nicht verzichten („Was willst du?“). Was sich im Bogen dieser Infinitive abzeichnet, lässt sich wiederum in Sätzen darstellen, die in jedem Fall anders und von jedem Zuschauer und Hörer anders gebildet werden. Für mich wären vielleicht folgende Sätze möglich: ‚Denken heißt fragen. Stellen wir uns angesichts des Schlimmsten Fragen. Wir haben uns nicht abwenden können. Obwohl es möglich gewesen wäre, haben wir nicht darauf verzichten können zu denken (das heißt zu fragen).‘

Die Wortklasse der Verben pendelt zwischen ihrem infiniten Modus und einer Gegenwartszeit. Diese Gegenwart kann heute, gestern oder irgendwann spielen. Sie ist nicht gleichbedeutend mit dem Präsens, sondern einfach eine im Spielverlauf konkretisierte Gegenwart. Demgegenüber kann der Infinitiv ohne jede weitere Festlegung alles Mögliche sein. In einer idealen Wendung umfasst er auch die Zuschauer eines Spiels. Die Gegenwartsform hingegen verlangt die Festlegung auf ein Subjekt und für gewöhnlich verlangt sie auch, durch etwas an der Stelle des Objekts vervollständigt zu werden. Üblicherweise verlangt der Satz ‚XY denkt‘ nach einer Vervollständigung im Sinne von ‚XY denkt an etwas‘ oder ‚über etwas nach‘. Nicht von ungefähr diskutieren Wladimir und Estragon bei ihrem Einstieg in das Spiel darüber, was „etwas“ oder „etwas weniger“ wäre, und nehmen dafür aber die bezeichnende Inversion vor, dass das Verb im Infinitiv an die Stelle des Subjekts rückt: „Denken ist etwas“. Ihr Spiel selbst gehört einem unbestimmten Infinitiv an, ohne Person, ohne Gegenwart, ohne Stimmenvielfalt. Es repräsentiert kein Ereignis, sondern drückt ein Ereignis aus, das die Unterscheidung von Spielenden und Zuschauenden unterminiert.

Damit wird deutlich, dass der Spielraum der Spielbewegungen hier nicht einfach mit einer Bühne übereinkommt. Offensichtlich bezeichnet das erste Wort im deutschen Titel Warten kein Substantiv, das von einem Verb abgeleitet wurde, sondern die infinite Form des Verbs. Die Verwendung des Gerundiums im Französischen und Englischen lässt dies noch deutlicher hervortreten (En attendant / Waiting). Was sich hier sprachlich ereignet, ist bereit und fähig, sich zu verzweigen und mit allem zu vermischen, was es ermöglicht. Das heißt, in jedweden Lektüren und Aufführungen wird mit jedem Spielzug etwas in der Doppelrichtung von Vergangenheit und Zukunft in Gang gesetzt, das insistiert und das sich hier, an dieser Stelle und in Bezug auf das soeben zitierte Spiel, mit einem Infinitiv kennzeichnen ließe, der zugleich ein Imperativ wäre: denken, fragen.

Das Vergehen der Zeit

Im Suhrkamp-Band mit der Übersetzung Elmar Tophovens, den Beckett 1975 zu seiner Inszenierung von Godot am Berliner Schiller-Theater benutzte, ersetzt er die Formulierung „Zum Zeitvertreib“

(12) durch „Dann vergeht die Zeit“ und notiert auf derselben Seite die identischen Wiederholungen im Stück: „Dann vergeht die Zeit“ (12, 83, 102) „So ist die Zeit vergangen“ (59, 110) und „Wie die Zeit vergeht“ (92). Jegliche reflexive Wendung oder Andeutung einer Zweck-Mittel-Relation wird sorgfältig vermieden.

Wladimir und Estragon spielen, während eine Zeit vergeht, die unsere ist. Das ist kein Zeitvertreib – einerseits. Andererseits gibt es aber auch die Langeweile und willkommene Ablenkungen. W:

„Nein, widersprich mir nicht, wir langweilen uns zu Tode, das ist unbestreitbar. Gut. Es ergibt sich eine Ablenkung, und was machen wir? Wir lassen sie ungenützt. Los, an die Arbeit. Er geht auf Pozzo zu, bleibt stehen.“ (98) Langeweile und Ablenkung: Offenkundig sind zwei verschiedene Zeiten im Spiel.

Die Ablenkungen gelten stets für eine begrenzte Zeit, deren Spanne sich aus der Aktion der Körper ergibt: Pozzo aufheben, einen Schuh anziehen, etwas essen, fallen, aufstehen, gehen. Die Ablenkungen bringen variable Gegenwarten von unterschiedlicher Ausdehnung hervor, sie gehen von einem Zeitvertreib zum nächsten über. Sie vertreiben die Zeit, denn insgesamt gehören sie, zyklisch und wiederkehrend, einer unendlichen Zeit an. Physische Bedürftigkeiten kehren genauso wieder wie die Fußtritte, Fragen und Zweifel. Müde werden, weil es Abend wird, oder warten darauf, dass es Nacht wird. Die Bewegung der Körper und ihre Verflochtenheiten in der Tiefe geben hier das Maß ab. Lauter „Tätigkeiten“, die, wie Wladimir konkretisiert, „auf den ersten Blick vernünftig erscheinen können, an die wir uns aber gewöhnt haben“ (97). Das heißt, sie sind nicht als solche vernünftig, sie sind nicht als solche notwendig oder unausweichlich, sondern scheinen dies nur, weil wir uns in Wirklichkeit an sie gewöhnt haben. Wir sind mit ihnen verabredet oder genauer noch: „Wir sind da, wie verabredet“ (ebd.). Unsere Gegenwart beruht auf Verabredungen. Dieses Wort zielt genau auf das instituierte Leben in seiner physisch und zyklisch bedürftigen Gegenwart, auf das Erlernte, das sprachlich Geregelte und die Vereinbarung, mit der es sich in unendlicher Wiederholung zuträgt. Aber die Art, in der es sich zuträgt, gleicht hier (wie auch im sogenannten wirklichen Leben) keinem zeitlichen Fluss, sondern einem stockenden, stotternden, immer wieder pausierenden Motor, der keineswegs ewig hält und jederzeit zu verenden droht. Auch das ist die Zeit, die vertrieben werden muss: der Motorschaden, das Ausfallen des Motors oder sein Ende.

Die andere Zeit, die hier im Spiel ist, wird von Günther Anders als „Zeitbrei“ bezeichnet, weil sie nicht ordentlich nach Vorher und Nachher unterscheidet, sondern alles ineinander gleiten lässt, sodass einfach „nichts verrät, dass etwas geschehen war“265. Diese andere Zeit ist nicht unendlich wie die Wiederholung, sondern unbegrenzt, weil sie sich nicht mit der Aktualität von Geschehnissen in der physischen Welt vermengt. Sie hält sich auf Abstand und will zum Beispiel vom linken Fuß genauso wenig wissen wie vom rechten. Stattdessen sammelt sie unkörperliche Ereignisse als Wirkungen, die wiederum zu Wirkungen führen. Ihr ‚Gegenstand‘ ist nicht die Frage danach, was wir uns als nächste Ablenkung erfinden, sondern dass wir überhaupt etwas finden und das Staunen darüber, dass uns dies eins ums andere Mal gelingt. Ein Staunen, das sich exakt in der Verwunderung darüber ausdrückt, „wie die Zeit vergeht“ (92). Diese andere Zeit, die Beckett so sorgfältig als vorübergehende Zeit notiert, vergeht im unbestimmten Modus, „dann“ oder „so“, ohne besonderen Grund, ohne Rückbezug auf Subjekte und ohne Verwicklung mit irgendwelchen Körpern.

Für die beiden unterschiedlichen Zeiten, die hier im Spiel sind, möchte ich noch einmal auf die Unterscheidung von Deleuze zurückkommen, die ich schon im Abschnitt zum Schon-da des Chors verwendet habe. Sie scheint mir aber im hiesigen Abschnitt erneut aufschlussreich, sodass ich diese Unterscheidung noch einmal kurz in Erinnerung rufen möchte: In seiner Auseinandersetzung mit der stoischen Topologie macht Deleuze zwei Lesarten der Zeit aus, die beide für sich genommen vollständig sind. Während die eine Zeit (Chronos) unendlich oft auf die stets begrenzte Gegenwart fokussiert ist, kann die andere Zeit nicht als unendlich gelten, weil sie niemals wiederkehrend auf sich selbst zurückkommt. Diese andere Zeit (Äon) ist unbegrenzt wie eine „reine Gerade, deren beide äußersten Enden sich unaufhörlich in das Vergangene [und] in das Zukünftige entfernen“266. Das, was in der ersten Zeit der Geschehnisse ‚Gegenwart‘ heißt, stellt sich in dieser anderen Zeit als eine unaufhörliche Berührung von unbegrenzter Vergangenheit und Zukunft dar. Da sich diese beiden, auf ihren Zeitpfeilen in die Länge gezogenen Zeitformen als soeben Vergangenes und sogleich Zukünftiges unendlich oft berühren, kann man auch sagen, dass diese vergehende Zeit unendlich teilbar ist, insofern Vergangenheit und Zukunft „jede noch so kleine Gegenwart bis ins Unendliche unterteilen und diese auf ihrer leeren Linie in die Länge ziehen“. Dies macht die leere Form der Zeit aus, die keine physischen, materiellen Abhängigkeiten kennt. Ihre ‚Gegenwart‘ gleicht einem mathematischen Punkt oder einem idealen Gedankenwesen zwischen ‚gerade noch‘ und ‚schon nicht mehr‘. Das Präsens ist für sie eine unmögliche Zeit. Diese vergehende, niemals aktuelle Zeit wird von Deleuze und von Günther Anders als „die Zeit selbst267 bezeichnet.

Die leere Zeit gleicht dem idealen Spieler, für den Deleuze ein sehr schönes Bild erfindet: Der ideale Spieler spielt.268 Er geht mit einem Einwurf ins Spiel, von dem er nicht zu trennen ist, sodass er identisch mit dem Spiel selbst ist, mit dem Einwurf, von dem sich alle anderen Würfe qualitativ unterscheiden. Das ideale Spiel wird mindestens auf zwei Tischen gespielt, genauer gesagt: am Scharnier der beiden Tische. Dort zieht der ideale Spieler eine gerade, halbierende Linie durch die Spiele in einzelnen, die sogleich als das erscheinen, was sie in den Worten Wladimirs sind: eine Ablenkung.

Entlang dieser Linie verteilt der ideale Spieler die den beiden Tischen entsprechenden Einzelheiten. Es werden zwei Serien unterscheidbar, die verschieden sind wie Himmel oder Erde, wie Sätze oder Dinge, wie ausdrücken oder einverleiben, wie reden oder essen, wie Weißclown oder Rotclown. Die leere Zeit spielt exakt auf der Grenze zwischen den beiden Serien, trennt und verknüpft sie. Der Witz ist jedoch nun, dass die leere Zeit in Berührung mit den beiden Serien auch in diesen zirkuliert, sich unablässig in dem einen oder dem anderen reflektiert und dabei verzweigt. Das Vergehen der leeren Zeit ist von der Art, dass sie alles aufnimmt und in allem zirkuliert, aber dennoch niemals auszufüllen ist. Die leere Zeit grundiert die Spiele der Ablenkungen und durchwandert ihre begrenzten Gegenwarten.

In der folgenden kleinen Szene wandert die leere Zeit durch das Spiel, das sie nicht trennt, sondern wie ein Scharnier zusammenhält. Sie ist zuerst auf der Seite von Wladimir, der inmitten der leeren Zeit zur Ablenkung einen nochmaligen Versuch „mit den Schuhen“ vorschlägt. Estragon, der ganz bei seinen malträtierten Füßen und deren „Entspannung“ ist, zögert. Dann ist sie bei Estragon, der sich inmitten der leeren Zeit über die Tatsache freut, dass sie spielen („existieren“). Indessen ist Wladimir ungeduldig und ganz bei den Schuhen, von denen er einen aufhebt. Beide variieren ständig die Zwei, die sie jeder jeweils zweifach anzeigen: zwei Schuhe, zwei Füße, zwei Spieler, „Ja, ja“. So schlagen sie sich entlang der abstrakten halbierenden Linie der leeren Zeit als „Zauberer“ durch ihr Spiel. Eigentlich versuchen sie nur „nochmal“, Estragon die Schuhe anzuziehen, und „dann vergeht die Zeit“.

Wladimir: Willst du es nicht nochmal versuchen? Estragon: Ich habe alles versucht.

Wladimir: Ich meine mit den Schuhen. Estragon: Meinst du?

Wladimir: Dann vergeht die Zeit. Estragon zögert. Es ist bestimmt eine Ablenkung.

Estragon: Eine Entspannung. Wladimir: Eine Zerstreuung. Estragon: Eine Entspannung. Wladimir: Versuch’s.

Estragon: Hilfst du mir? Wladimir: Natürlich.

Estragon: Wir schlagen uns doch ganz gut durch, nicht wahr, Didi, wir zwei?

Wladimir: Ja, ja. Komm, zuerst versuchen wir es mit dem linken.

Estragon: Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir existieren, nicht wahr, Didi?

Wladimir: ungeduldig:

Ja, ja. Wir sind Zauberer. Aber wir sollten uns nicht von unserem Entschluss abbringen lassen. Er hebt einen Schuh auf.

Komm, gib deinen Fuß. (S. 83)

Gespielt werden

Die dargelegten Unterschiede in den Spiel- und Zeitformen korrespondieren miteinander: Im Horizont der Spiele gibt es einen Infinitiv, der sich nicht schließen lässt, der alle möglichen Ereignisse ‚sammelt‘ und der publikumsoffen ist. Ihm entspricht die leere Zeit, die unendlich teilbar ist, aber niemals auf sich selbst zurückkommt. Anfügen ließe sich hier: genauso wie das unbegrenzte, nicht feststellbare Publikum von Godot. Hingegen hantieren die Spiele gegenwärtig stets mit konkreten Körpern, Objekten und Aktionen und tun dies in unendlicher Wiederholung. Ihre Zeit ist das Präsens eines konkreten Publikums, während das Präsens für die leere, infinite Zeit wiederum ein Ding der Unmöglichkeit ist. Bald gilt das eine, bald hingegen das andere. Beide Lesarten oder Konzeptionen schließen sich wechselseitig aus, beide sind gleichzeitig notwendig. Sind die beiden Modi hinreichend unterschieden, muss ein weiteres Augenmerk der Art ihres Zusammenhangs gelten. Was lässt sich über das Scharnier oder die Naht sagen, die das Ganze eines Spiels zusammenhalten? Und was über das Und zwischen dem Hin und Her? Und nicht nur das Ganze eines Spiels, sondern auch das Ganze vieler, sich ablösender, sich folgender, sich vorausgehender Spiele wie hier in Godot. Mag innerhalb eines Spiels durchaus der Wettkampfmodus ‚Nicht du, sondern ich‘ zum Zuge kommen (der die Kommunikation des Paars Pozzo–Lucky vollständig trägt), so werden die Spiele als einander ablösende offensichtlich durch die Konjunktion Und verbunden. Durch eine Konjunktion, die nicht die Summe vieler Glieder bezeichnet, sondern ihr Und, das verschieden ist von der Summe oder den Elementen. Durch ein Und als Grenze, als Lücke und Bindestück zwischen zwei Spielen, zwischen Schweigen und Sprechen, zwischen Worten und Tönen, zwischen Frage und Antwort. Welcher Art ist der Zusammenhang dieses Und?

Dieses Und ist in besonderer Weise mit einem Begriff des Spiels liiert, den Hans-Georg Gadamer für die Erfahrung von Kunst insgesamt geltend macht. Gadamer geht vom Primat des Spiels gegenüber den Spielenden aus: Für das Spiel sind die Ausführung, das Bewusstsein oder die Erfahrung der Spielenden nicht ausschlaggebend. Spieler sind nicht die Subjekte des Spiels, denn das Spiel trägt sich auch ohne Subjekte zu, die sich spielend verhalten, etwa im Spiel der Farben oder im Spiel der Wellen. Gerade dort, betont Gadamer, wo keine Subjektivität dazwischentritt, zeige sich, dass „der ursprünglichste Sinn von Spielen der mediale Sinn“269 sei. Der Primat des Spiels gegenüber den Spielenden besage demnach, dass es durch diese lediglich zur Darstellung gelangt. Im Spiel, das gespielt wird, sei offenbar das Spiel selbst das Subjekt. Von da aus gelangt Gadamer zur Angabe eines ersten allgemeinen Zugs, „wie sich das Wesen des Spiels im spielenden Verhalten reflektiert. Alles Spielen ist ein Gespielt-werden.270

Gespielt-Werden ist Spielen ohne Zweck und Absicht. Es ist eng mit dem medialen Sinn von Spiel verbunden und geht ganz in einer Spielbewegung auf, die wesentlich ein Hin und Her variiert und die insofern, genau genommen, niemals ein solitäres Spiel für sich alleine sein kann. Selbst das Ballspiel oder die mit einem Wollknäuel spielende Katze, die Gadamer als Beispiele anführt, beruhen auf einer „freien Allbeweglichkeit“ von Ball oder Knäuel, die jeden Zug des Spielenden mit einem unvorhersehbaren Gegenzug entgegnen. Die Spielbewegung des Hin und Her hat kein Ziel, an dem sie endet. Sie hat keinen Nährboden, von dem sie abhängig ist, sie erneuert sich mit jeder Ausführung, egal, wer oder was sie ausführt. Sie ist keine Betätigung, die etwa auf die Aktivierung der Spieler drängt, sie geht nicht in Funktionen auf: „Das Spiel ist wirklich darauf beschränkt, sich darzustellen.“ Diese Selbstdarstellung gilt für Gadamer auch da, wo es sich um Wettkampfspiele handelt oder um Lösungen von Aufgaben, wo Spielen vor allem Etwas-Spielen ist, mit abgegrenzten Spielfeldern und besonders gefordertem Spielerverhalten, das eingehalten werden muss. Die im Spielfeld erworbenen Siege oder Niederlagen, die Erfüllung oder Lösung von Aufgaben weisen, Gadamer zufolge, in keine Zweckzusammenhänge hinaus. Selbst die heute überbordende Kommerzialisierung von Spielen, im Sport etwa oder in Show-Geschäften aller Art, bringen den Spielcharakter, der mit der Selbstdarstellung des Spiels verbunden ist, nicht völlig zum Erliegen, obwohl die Grenze zum reinen Schaukampf mit professionellen, bezahlten Spielern durchaus fließend ist und sich das Kalkül auch punktuell über das Spiel zu stellen vermag.

Eine „totale Wendung“ macht Gadamer für das Spiel aus, wenn sich die Spielwelt mit den Zuschauern schließt, für die und vor denen das Spiel spielt. Nicht die Indiskretion einer wie auch immer fehlenden vierten Wand hat Gadamer im Sinn, sondern die diskrete Schließung einer Spielwelt durch Zuschauer (oder Leser). Das Spiel selbst ist das Ganze aus Spielern und Zuschauern. Es ist nicht so, dass die Zuschauenden in eine vorexistente Spielwelt eindringen würden, vielmehr schließt sich in und mit ihnen die Spielwelt überhaupt erst zu einer ganzen Welt. Denn das Spiel gelangt für sie und vor ihnen und nicht für die Spieler zur Darstellung. Im Fall des idealen Spiels gelangen die Zuschauer an die Stelle der Spieler, von denen sich das Spiel ablöst. Es geht nicht mehr um das Handwerk eines darstellenden Tuns, sondern um die Erscheinung eines Gespielten, das sich auf dem Kunstboden des Kunstwerks als etwas auf sich selbst Beruhendes von den Spielern ablöst und seine Wirklichkeit in den Zuschauern erlangt. Die Zuschauer bilden hier das Außen. Sie stehen an der Stelle des Außen im Spiel, das selbst im Wesentlichen Veräußerung oder Auswendig-Werden ist.271 Dank der Zuschauer, vor denen sich das Spiel entfaltet, vermag das Spiel, seine eigene Wirklichkeit zu werden. Diese ist, der Verweis erübrigt sich fast, ohne Vergleich mit anderen, sogenannten äußeren Wirklichkeiten. Das Präfix „re“ des Wortes Repräsentation bezieht sich eben nicht auf das Nochmalige einer Wiederholung, sondern auf eine Intensivierung, eine leichte Verstärkung und Hervorhebung, welche die Präsentation als Darstellung und in der Darstellung erfährt und dadurch als etwas in sich kenntlich wird. „Voilà“, heißt es in En attendant Godot stets, wenn diese Grenze des Sagbaren gestreift wird, „eben“ oder „genau“. Alle Zuschreibungsurteile, wie sie mit dem Verb sein einhergehen, entfallen.

Gespielt-Werden bezieht sich auf eine Vollständigkeit, die es im Außen der Zuschauenden erreicht. Gespielt werden wir durch das Spiel, durch sein unpersönliches Hin und Her, durch seine verzweigten Zufälle, dadurch, dass das Spiel im Gespielt-Werden seine größte Ausdehnung erfährt, die in uns Platz nimmt und die in uns ihr präindividuelles Feld aufschlägt. Das geschieht natürlich nicht automatisch, sondern durchaus in Abhängigkeit von subjektiven Haltungen, Einsichten oder auch Leistungen. Aber es geschieht der Möglichkeit entsprechend. Wo sich das Gespielt-Werden einstellt, trifft es nicht mehr auf Subjekte. Diese haben ihre Subjekthaftigkeit an das Spiel abgegeben und damit im besten Sinn verloren.

Gespielt-Werden bezeichnet einen Zustand des Spiels, in dem es vielstimmig und mannigfaltig wird. Spielen im Zustand des Spiels korrespondiert mit dem Und als einer Relation, die alle anderen Relationen mit sich führt. Dieses Und ist weder das der Spieler noch das der Zuschauer, es ist deren geteilte Grenze, ihr Mitgeteiltes selbst. Im Gespielt-Werden wird jedes Spiel chorisch. Tanz und Musik führt Gadamer als erste Beispiele für ein Gespielt-Werden an. Dieselben Bereiche werden auch in einer erstaunlichen Würdigung der tänzerischen Mimesis durch Lukian aus Samosata eine Rolle spielen, auf die wir im Zusammenhang mit Jelinek zurückkommen werden.

209 James Knowlson, Damned to Fame. The life of Samuel Beckett, London 1996, 398: „I came back from Berlin on Saturday. It was badly played there, above all badly directed, but well received. I would have preferred the opposite.“

210 Zit. n. Kölner Abendzeitung (2. Juni 1954). (Die London Times wird o. A., o. J. zitiert.)

211 Pierre Temkine datiert dieses geflügelte Wort auf die Jahre 1954/55, in: ders., „Was es macht, nichts zu sagen“, in: ders., Warten auf Godot. Das Absurde und die Geschichte, Berlin 2009, 95–108, hier 104.

212 Theresia Birkenhauer, Schauplatz der Sprache – das Theater als Ort der Literatur, Berlin 2005, 130–210 („Sprechen und Sprache in Not I“), hier 133.

213 Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt a. M. 1965, 64.

214 Alexander Mitscherlich, Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967.

215 Temkine, „Was es macht, nichts zu sagen“, ebd., 105.

216 Die bleierne Zeit (1981), Spielfilm von Margarethe von Trotta, der die Biografien der Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin in den 1950er und 1960er Jahren der BRD thematisiert.

217 Günther Anders, „Sein ohne Zeit. Zu Becketts Stück En attendant Godot“, in: ders., Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (1956), München 1980, 213–231, hier 213.

218 Rolf Tiedemann, „Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn“. Eine Dokumentation zu Adornos Beckett-Lektüre, in: Frankfurter Adorno Blätter 3 (1994), 18–78.

219 Susan Sontag, Gegen Interpretation (1964), in dies. Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, dt. von Mark W. Rien, München/Wien 1980, 9–18.

220 Georg Hensel, „Die Quadratur des Greises“ (anlässlich von Quadrat I und II), in: FAZ vom 8.10.1981.

221 Georg Hensel, „Heiland der Heillosen. Samuel Beckett wird achtzig Jahre alt“, in: FAZ vom 12.4.1986.

222 Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer Bd. I. Interviews und Gespräche, Berlin 1990, 49.

223 1955 schreibt Hans Knudsen mit Bezug auf 1933: „Inzwischen waren die bösen Jahre ausgebrochen.“ Hans Knudsen, Begründung und Entwicklung der Theaterwissenschaft an der Friedrich-Wilhelm-Universität, in: Studium Berolinense. Aufsätze und Beträge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1960, 739–754, hier 752.

224 „The younger generation seems to be petrified, inarticulate, incapable of consistent thought.“ Hannah Arendt, „The Aftermath of Nazi Rule. Report from Germany“, in: Commentary 10 (1950), 342–353, hier 344.

225 Hans Magnus Enzensberger, Berliner Gemeinplätze II, in: Kursbuch 13, Frankfurt a. M. 1968, 190–197.

226 Anders, „Sein ohne Zeit“, 218.

227 Temkine, „Was es macht, nichts zu sagen“, 95.

228 Heiner Müller, „Die Wahrheit ist leise und unerträglich“, ein Gespräch mit Peter von Becker, in: Heiner Müller, Werke Bd. 12, hg. von Frank Hörnigk, Frankfurt a. M. 2008, 745–782.

229 Zum Dual siehe: Karen Gloy, Alterität. Das Verhältnis von Ich und dem Anderen, Paderborn 2019, 28.

230 Zur homogenisierenden Erzählung vgl. Pierre Temkin, „Woher kommen all diese Leichen? Eine historische Lektüre von Warten auf Godot. Valentin Temkine im Gespräch mit Pierre Temkine“, in: Temkine, Warten auf Godot, ebd., 13–42.

231 Im Französischen ist diese Verschiebung noch auffälliger: Vladimir: „En effet, nous sommes sur un plateau. Aucun doute, nous sommes servis sur un plateau.“ Vgl. Samuel Beckett, Warten auf Godot, En attendant Godot, Waiting for Godot, Frankfurt a. M. 1971 (im Folgenden zitiert als: Godot, dreisprachige Ausgabe), 182.

232 Godot, dreisprachige Ausgabe, 151.

233 Jean Jourdheuil, „Der Raum des Theaters und der Raum im Theater“, in: Angela Lammert (Hg.), Raum und Körper in den Künsten der Nachkriegszeit, Amsterdam/Dresden 1998, 261–278, hier 267.

234 Jourdheuil, „Der Raum des Theaters“, ebd., 268.

235 Ebd., 267.

236 Godot, dreisprachige Ausgabe, 151.

237 Deleuze, „Die Immanenz: Ein Leben“, ebd., 369.

238 Godot, dreisprachige Ausgabe, 163.

239 Alberto Gicometti, zit. n. Jourdheuil, „Der Raum des Theaters“, ebd., 271. (Jourdheuil gibt als Quelle für das Zitat an: Giacometti, Carnets et feuillets, 198.)

240 Horst Bollmann, der in Becketts Inszenierung 1975 in Berlin den Estragon spielte, zit. n.: „Mit ihm waren wir glücklich. Ein Gespräch mit Becketts Lieblingsschauspielern Horst Bollmann, Klaus Herm und Stefan Wigger. Von Peter Kümmel“, in: Die Zeit Nr. 16/2006 vom 12. April 2006.

241 Zu erinnern ist an die Aufführung von George Tabori an den Münchner Kammerspielen 1984 mit Peter Lühr als Estragon und Thomas Holtzmann als Wladimir.

242 Die Situation (W + E) und das Bild (P + L) bezeugen zusammen eine weitere Entscheidung Becketts, nämlich die Bühne nicht als einen vorexistenten Raum aufzufassen: Die Bühne ist kein Container, keine Black Box, kein White Cube.

243 Anders, „Sein ohne Zeit“, 229.

244 Wohnsitz: Nirgendwo. Vom Leben und Überleben auf der Straße, hg. von Christian Chruxin, Karin Kerner und Klaus Trappmann, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1982. Der Band enthält eine eindrucksvolle Dokumentation zum gewählten, vagabundierenden Lebens im frühen 20. Jahrhundert, mit Schwerpunkt auf den 1920er Jahren.

245 Alle im Zitate bis zur nächsten Seitenangabe finden sich auf S. 7 der verwendeten Ausgabe.

246 Zur Frage, was die Linke ausmache, stellt Deleuez unter G (wie ‚gauche‘) fest: „Die Mehrheit ist also niemand, eine Minderheit hingegen die ganze Welt und das ist es auch, was die Linke ausmacht: zu wissen, dass eine Minderheit die gesamte Welt umfasst und dass nur dort die Phänomene des Werdens auftauchen.“ Vgl. „Das ABC von Gilles Deleuze mit Claire Parnet. Arbeitsmanuskript“ (keine Transkription), hergestellt und übersetzt von Christina Malycha 2003. www.langlab.wayne.edu/CStivale/D-G/DASABC-A-L.html#anchor80972. Letzter Zugriff am 22.11.2018.

247 Warten auf Godot, dreisprachige Ausgabe, 50. Tophoven übersetzt: „Das leuchtet ein.“ Ebd., 51, bzw. „Das ist klar“ in der Einzelausgabe, 20. Der Bezug des Ausdrucks zur Norm/Normalität ist gelöscht.

248 Anders, „Sein ohne Zeit“, ebd., 219.

249 D. i. das Zentrum seiner Analyse vom „Sein ohne Zeit“: „Zeit ist Geschichte“, als ihr „Motor“ gilt ihm, hierin gut hegelianisch, der Kampf um Herrschaft, der Antagonismus, ebd., 228 f.

250 Maurice Blanchot, „Wer nun? Was nun?“ (zu Beckett), in: ders., Der Gesang der Sirenen. Essays zur modernen Literatur, Frankfurt a. M. 1982, 285–290, hier 289.

251 „By all the known criteria, Waiting for Godot is a dramatic vacuum. It has no plot, no climax, no denouement, no beginning, no middle, no end, it frankly jettisons everything by which we recognize theater, it arrives as it were with no luggage, no passport, nothing to declare, yet it gets through, as might a pilgrim from Mars.“ Kenneth Tynan, „Waiting for Godot“, in: The Observer, 7. August 1955.

252 Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, Frankfurt a. M. 2004.

253 Nikolaus Müller-Schöll, „Der ‚Chor der Komödie‘. Zur Wiederkehr des Harlekins im Theater der Gegenwart“, in: ders., André Schallenberg, Mayte Zimmermann (Hg.), Performing Politics. Politisch Kunst machen nach dem 20. Jahrhundert (= Recherchen 92), Berlin 2012, 189-201, hier 191. Zum Zitat von Alewyn vgl.: Richard Alewyn, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste, München 1999, 99.

254 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik. Kleine Nachschule zur ästhetischen Vorschule, München 1974, 160.

255 Erst im 18. Jahrhundert verdichten Carlo Goldoni und Carlo Cozzi die Erbschaften der Straße, was nicht ohne strittige Transformationen abgeht. Anonyme Verschriftlichungen liegen im Einzelfall auch schon früher vor.

256 Den Hinweis auf M. Gogo verdanke ich Mark Lammert.

257 Alexia M. Yates, C’est comme ca que vous entendez les affaires? Gogos and the Moral Parameters of Commercial Life in Nineteenth-Century France. Permalink: http://hdl.handle.net/2027/spo.0642292.0036.012. Letzter Zugriff am 6.4.2018

258 Frédérick Lemaître, Maurice Alhoy, Benjamin Roubaud, Saint-Amant, Robert Macaire (1833). Ein Textauszug findet sich, übersetzt vom Daumier-Spezialisten Claude Keisch, auf der Seite der Honoré Daumier-Gesellschaft unter dem Stichwort „Robert Macaire“. (www.daumier-gesellschaft.de/robert-macaire)

259 Robert Macaire, 1. Akt, 4. Bild, 6. Szene, ebd.

260 Missgeschicke und Enttäuschungen des M. Gogo, in La Caricature provisoire 1838/39 und eine Serie zu dem Emporkömmling und Betrüger Robert Macaire in der satirischen Tageszeitung Le Charivari 1840–42.

261 Honoré de Balzac, „Monographie du Rentier“, in: ders., Les Français peints par eux-même, Paris 1840. Vgl. auch die Erwähnung einer „schrecklichen [hier im Sinn von ‚zutreffenden‘, UH] Farce mit dem Titel Robert Macaire“ in: Honoré de Balzac, Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille, Zürich 2016.

262 Paul de Kock, Frédérick Lemaître fils, Monsieur Gogo. Comédie-vaudeville encinq actes, Paris 1959.

263 Agnès Pierron, Dictionnaire de la Langue du Cirque. Des mots dans la sciure, Paris 2003.

264 Tophoven schließt sich damit den Anfang der 1950er Jahre gängigen Übertragungen für Titel berühmter Kunstwerke an, die den Verbrechen der Shoa gewidmet sind: Le Charnier (1944/45), das Tableau von Pablo Picasso, wird im Deutschen unter dem Titel „Das Beinhaus“ tradiert, ebenso das Gedicht Charniers (1945) von
Paul Éluard.

265 Anders, „Sein ohne Zeit“, ebd., 224.

266 Deleuze, Logik des Sinns, ebd., 86-90, hier 87. Das folgende Zitat aus Logik des Sinns ebd.

267 Anders, „Sein ohne Zeit“, ebd., 344 f. (Fußnote, Hervorhebung i. O.)

268 Deleuze, Logik des Sinns, 90 f.

269 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, in: ders., Gesammelte Werke Bd. 1, Hermeneutik I, Tübingen 1990, bes. 107–138, hier 109.

270 Ebd., 112, Hervorhebung i. O. Für die drei folgenden Zitate Gadamers vgl. den Abschnitt ebd., 111–115.

271 „Spiel als Leitfaden der ontologischen Explikation“ lautet entsprechend Gadamers Kapitelbezeichnung, ebd., 107–138.

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