Auftritt
Werk X Wien: Matchball und Verständigung
„Strahlende Verfolger.“ von Elfriede Jelinek – Inszenierung Gintersdorfer/Klaßen, Regie Monika Gintersdorfer, Raum Katrina Daschner, Kostüm Natalie Ofenböck & Louis Krüger & Sebastian Ymai, Instrumente Hans Unstern, Licht Alexander Suchy
von Theresa Luise Gindlstrasser
Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Knut Klaßen Monika Gintersdorfer Elfriede Jelinek Werk X
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Die beiden künstlerischen Leiter Ali. M. Abdullah und Harald Posch verabschieden sich mit einem vierteiligen Elfriede Jelinek Projekt unter dem Übertitel „Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater“ vom Werk X in Wien. Bevor Esther Holland-Merten mit nächster Spielzeit das Haus übernimmt, zeigen vier verschiedene Regisseur:innen beziehungsweise Regie-Teams drei Österreichische Erstaufführungen und eine Wienerische Erstaufführung von Texten der Nobelpreisträgerin. Als zusammenhangsstiftende Klammer fungiert dabei die von der bildenden Künstlerin und Filmemacherin Katrina Daschner gestaltete, rot glänzend mit Folie ausgehangene Bühne. Mehrere zu einer zweiflügeligen Freitreppe arrangierte Podeste umrahmen ein Objekt mit Zacken, das zunächst an einen ausgeschnittenen Weihnachtsbaum erinnert, sich nach Lektüre des Programmheftes jedoch als Vagina dentata, also bezahnte Vagina, erschließt. Für die Gintersdorfer/Klaßen Inszenierung von „Strahlende Verfolger.“ spielt diese Bühnenbild-Steilvorlage jedoch keine Rolle, oder wenn dann nur als Requisiten-Ablagefläche, denn gespielt wird im freigeräumten Bühnenvorne.
Passend zum Titel kreist am Anfang ein Scheinwerferkegel suchend über die Bühne. Wenn der Raum dann hell erleuchtet ist, wird Tennis gespielt, die Jelinekschen Assoziationen zu „Entwurf“ und „Werfen“ also in den Sport übersetzt. 2022 inszenierten Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen schon einmal am Werk X, nämlich „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach Ödön von Horváth. Und auch „Strahlende Verfolger.“ funktioniert „nach Jelinek“, denn der 2014 uraufgeführte Text kommt in Teilen und Teilchen, vom Band oder live paraphrasiert, wird gesampelt als musikalische Partitur präsentiert. Vor allem aber werden die Jelinekschen Wortkaskaden aus der Perspektive einer internationalen Theaterzusammenarbeit kommentiert: Wie geht es dir denn mit dieser Kritik an Deutschland, dem und den Deutschen, dem Deutschtum?", neckt der Ivorer Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star seinen ultra-deutsch-peinlich-berührte Kollegen Hauke Heumann. Dass „der Deutsche“ nicht nur Waren, sondern auch sich selbst in die Welt hinaus exportiert und diese Welt in ihrer Vernichtung sich zu Eigen macht, das ist das Thema dieses Theaterabends. Gintersdorfer/Klaßen bringen es mit der Frage auf den Punkt: Was ist das überhaupt für ein Goethe-Institut finanziertes „Wir“, das da auf der Bühne steht und spricht?
Jedenfalls eines, das gemeinsam musiziert. Denn Hans Unstern hat die Tennisschläger mit Tonabnehmern versehen und gespielt wird nicht über ein Netz, sondern über einen Saiteninstruments-Zaun. Jeder Schlag ergibt viele schiefe Töne und so locker entspannt es das vierköpfige Ensemble auch angeht – es hat etwas Bedrohliches. Wenn wieder einer der vielen gelben Bälle im Publikum landet, dann geht es fröhlich mit dem nächsten weiter – es hat auch etwas Unschuldiges. Das Spiel mit den Klängen setzt sich im pantomimisch-kommentierenden Tanz von Annick Prisca Agbadou alias Annick Choco zu einer Textaufnahme mit ihrer eigenen Stimme fort. Und in der Art und Weise, wie der Abend den Vorgang der Übersetzung in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Während nämlich Unstern nur für atmosphärischen Gesang die Stimme erhebt und Yao und Agbadou auf Französisch sprechen, liegt es an Heumann für eine Übersetzung ins Deutsche zu sorgen. Und auch wenn er sich dabei mitunter begriffsstutziger gibt, als es noch irgendwie glaubwürdig wäre, sein Nachfragen und rasantes Nachsagen bringen das Deutsche und das Französische in eine dynamisch-komplexe Beziehung jenseits idealisierter Deckungsgleichheit. Alles in allem: Ein sportlicher Versuch, miteinander auch über Abgründe hinweg ins Spiel und in ein gemeinsames Verstehen zu kommen.
Erschienen am 9.5.2023